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Der schlafende Engel

Der schlafende Engel

Titel: Der schlafende Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia James
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Swain’s Lane entlang und quer durch den Park, wobei ihr Blick zu dem Pfad hinüberglitt, wo Marcus seine Klauen in ihr Fleisch gebohrt hatte. Lange Zeit hatte es sie enorme Überwindung gekostet, hier entlangzugehen, aber jetzt nicht mehr. Es war keine Übertreibung gewesen, als sie zu Caro gesagt hatte, sie spüre die aufziehende Dunkelheit. Es war fast, als könnte sie sie riechen, so wie manchmal im Spätsommer bereits der Geruch des nahenden Herbstes in der Luft hing. Und zu ihrer Verblüffung zog sie neue Kraft aus diesem Gefühl. Viel zu lange hatte sie in der Angst und Ungewissheit gelebt, doch nun schien sich alles auf eine ganz einfache Entscheidung zu reduzieren: Entweder aufgeben oder kämpfen. Und sie würde die Vampire auf keinen Fall gewinnen lassen. Lächelnd zog sie ihr Handy heraus und schrieb eine SMS an Gabriel.
    Keine Ahnung, wo du gerade steckst, aber ich denke an dich. Bitte, komm bald zurück zu mir. Wir schaffen das gemeinsam. Ich liebe dich. Küsse. A.
    Sie wusste zwar nicht, ob es etwas bringen würde, aber schaden konnte es jedenfalls nicht, oder? Gabriel ging es nicht gut, so viel stand fest. Vielleicht handelte es sich bei den Träumen, die ihn quälten, tatsächlich um Erinnerungen, aber das spielte keine Rolle für sie. Tief in ihrem Innern wusste sie, wer Gabriel war. Okay, er hatte sie belogen und im Stich gelassen, und im Moment lief er vor irgendetwas davon, das April gern mit ihm gemeinsam in Angriff genommen hätte, doch ihre Gefühle für ihn hatten sich nicht geändert, kein bisschen. Und sie würde ihm helfen, selbst wenn das bedeutete, dass sie gewisse Risiken auf sich nehmen musste. Risiken wie dieses hier , dachte sie und holte tief Luft.
    Sie drückte auf die Gegensprechanlage und wartete. Nichts geschah. Dann trat sie vor den Eisenzaun und spähte durch die Gitterstäbe. Im Haus brannte Licht. Sie drückte ein weiteres Mal auf den Knopf.
    »Was gibt’s, verdammt noch mal?«, ertönte eine aufgebrachte Stimme.
    »Ich bin’s, April Dunne. Ich möchte Davina besuchen. Ist sie da?«
    »Davina! Da ist …« Die Stimme verstummte.
    Vielleicht hätte ich lieber an einem anderen Tag vorbeikommen sollen , dachte sie, als das Tor aufschwang und sie die vom Regen aufgeweichte Kiesauffahrt entlangging. Und vielleicht hätte ich auch lieber andere Schuhe anziehen sollen. Sie sprang über eine große Pfütze.
    Davina erwartete sie mit einem verkniffenen Lächeln an der Tür, während im Hintergrund erneut aufgebrachte Stimmen zu hören waren.
    »Entschuldige, aber meine Eltern zoffen sich gerade«, sagte sie. »Lass uns hoch in mein Zimmer gehen.«
    Doch bevor April einen Fuß über die Schwelle setzen konnte, erschien Nicholas Osbourne hinter seiner Tochter.
    »Ah, April. Immer nur herein. Wir haben gerade eine kleine Diskussion, und vielleicht kannst du ja dazu beitragen.« April fiel auf, dass er beim Wort »Diskussion« ein wenig nuschelte. Ihr Blick blieb an dem Glas mit der goldfarbenen Flüssigkeit in seiner Hand hängen.
    »April hat keine Lust, sich in euren Streit hineinziehen zu lassen, Dad«, erklärte Davina. »Lass sie in Ruhe.«
    »In Ruhe lassen? Auf gar keinen Fall.« Nicholas Osbourne nahm April am Arm und zog sie hinter sich her ins Wohnzimmer. »Was wäre ich für ein Gastgeber, wenn ich sie außen vor ließe? Das wäre doch der Gipfel der Unhöflichkeit.«
    Im Haus sah es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Seit Wochen schien nicht mehr aufgeräumt oder geputzt worden zu sein. Der Fußboden war von Abfällen und Lebensmittelverpackungen übersät, überall standen Teller und Tassen mit entweder geronnenen oder bereits schimmligen Essensresten herum. Auf dem cremefarbenen Teppich lag eine Kaffeetasse. Offenbar hatte sich niemand die Mühe gemacht, den dunklen Fleck zu beseitigen. Noch schlimmer waren jedoch die Hinweise darauf, dass jemand handgreiflich geworden war – einer der Esszimmerstühle war umgekippt und der Vorhang zerrissen, außerdem hatte jemand sämtliche Gegenstände vom Kaminsims gefegt, denn die zerbrochenen Einzelteile einer Uhr und die Scherben eines Bilderrahmens lagen auf dem Boden verstreut.
    »Also, April«, meinte Mr Osbourne, »wie findest du unsere bescheidene Bleibe?«
    »Sehr … nett.«
    »Es ist ein Drecksloch«, erwiderte er. »Komm schon, immer raus damit, du kannst es ruhig sagen. Meine sogenannte Angetraute versucht nämlich gerade, es vollends vor die Hunde gehen zu lassen. Das ist so ein kleines innenarchitektonisches

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