Der schlafende Engel
alles über Agropharm wissen, oder? Sie ist genauso wie ihr Vater, immer neugierig. Mag sein, dass du mir nicht über den Weg traust, April. Deine Freundin Caro tut es jedenfalls nicht. Sie ist ein cleveres Ding, deine Freundin, ich mag sie sehr. Aber eines kannst du mir gern glauben: Mich hat immer nur das hier interessiert …« Er machte eine ausholende Bewegung, wobei erneut etwas Whiskey auf das teure Sofa tropfte. »Ich habe es bloß wegen des Geldes getan, stimmt’s, Barbara? Wir wollten uns schöne Sachen kaufen, große Autos fahren und erster Klasse fliegen. Und Gott möge mir verzeihen, aber wir haben in Saus und Braus gelebt. Aber sie?«
Er deutete auf den stumm geschalteten Nachrichtenkanal im Fernsehen.
»Sie wollten nur die Kontrolle. Das ist ihr Kick, nicht das Geld oder der ganze andere Plunder. Nein, sie wollten die ultimative Macht. Und jetzt haben sie uns in der Hand, stimmt’s, meine liebe Tochter?«
»Das reicht jetzt«, fauchte Davina, nahm eine Flasche Scotch vom Tisch und drückte sie ihrem Vater in die Hand, der sie mit verblüffter Miene entgegennahm.
»Hier, da hast du alles, was du brauchst«, sagte sie. »Und jetzt lass endlich meine Freundin los.«
Nicholas blickte auf die halb leere Flasche, während Davina April in Richtung Haustür schob.
»Vergiss eines nicht, April«, rief er ihnen hinterher. »Wenn du denkst, du hättest den Tiefpunkt erreicht, geht es immer noch weiter hinunter. Immer.«
Davina folgte April nach draußen und schlug die Tür hinter sich zu.
»Tut mir leid, dass du das mitansehen musstest«, sagte sie und kreuzte die Arme vor der Brust. »Seit Bens Tod ist er einfach nicht mehr derselbe.«
»Das verstehe ich doch«, sagte April. »Vermutlich würde es mir ganz genauso gehen, wenn mein Sohn … na ja, du weißt schon.«
Beim Gedanken daran, dass sie – wenn auch nicht willentlich – die Schuld an Mr Osbournes tiefer Trauer trug, wurde ihr ganz elend.
»Das ist wirklich nett von dir«, sagte Davina. »Aber Dad ist im Moment nicht ganz auf der Höhe, deshalb solltest du nicht auf ihn hören. Das war der Alkohol, der aus ihm gesprochen hat, sonst nichts.«
»Hat er wirklich seinen Job verloren?«
»Ja, das war noch ein schwerer Schlag für ihn, aber bei seinen Beziehungen kann ich mir nicht vorstellen, dass es lange dauern wird, bis er etwas anderes gefunden hat. Im Moment ist alles ein bisschen viel für ihn. Für beide. Und Mummy benutzt das als Ausrede, um sich in einem See aus Pinot Noir zu ertränken.«
April lächelte.
»Erzähl mir nichts. Meine Mum gehört auch zur Stammkundschaft beim Weinhändler.«
Sie traten um die Pfützen herum durch das Gartentor.
»Bist du aus einem bestimmten Grund hergekommen?«, fragte Davina.
Ja, ich wollte deinen Vater überreden, dass er mich mit dem obersten Kopf bei Agropharm zusammenbringt, damit ich herausfinden kann, ob er der Vampirkönig ist , dachte sie.
»Nein, ich hatte nur Lust, ein bisschen über Jungs herzuziehen.«
»Wieso? Ist Gabriel abgetaucht?«, fragte sie.
April hob die Brauen. Woher wusste sie, dass er wieder mal in der Versenkung verschwunden war?
Davina lächelte. »Nur weil ich nicht auf Lings Party war, bedeutet das noch lange nicht, dass ich nicht bestens informiert bin. Nicht alle von Chessys kleinen Klonen sind auf ihrer Seite, wenn du verstehst, was ich meine. Noch stehe ich nicht komplett auf dem Abstellgleis.«
April lächelte wehmütig.
»Tja, was du gehört hast, stimmt leider. Gabriel ist wie vom Erdboden verschluckt, und ich habe nichts von ihm gehört. Und wenn ich ehrlich sein soll, habe ich keine Ahnung, wo ich ihn suchen sollte.«
»Wahrscheinlich willst du das nicht von mir hören«, erwiderte Davina sichtlich verlegen. »Aber wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich es auf dem Friedhof versuchen.«
»Auf dem Friedhof? Wieso ausgerechnet dort?«
»Na ja, du weißt doch, dass Gabriel früher eine andere Freundin hatte.«
April schluckte.
»Chessy?«
Davina warf den Kopf in den Nacken und lachte.
»Das hätte sie wohl gern. Nein, Süße. Die, die gestorben ist.«
»Lily?«, fragte April bestürzt.
Davina nickte. »Kein Mädchen sieht es gern, wenn ihr Freund eine andere hat, selbst wenn sie längst tot ist. Aber ich weiß, dass er früher oft ihr Grab besucht hat. Vielleicht ist er ja dort, oder jemand hat ihn gesehen. Dann wüsstest du wenigstens, dass es ihm gut geht.«
April überlegte, ob sie Davina erzählen sollte, dass sie im Moment nicht gerade
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