Der schlafende Engel
Projekt von ihr.«
»Nick, bitte«, sagte Davinas Mutter. »Sie hat doch mit all dem nichts zu tun.« Barbara Osbourne hatte so still in ihrem Sessel gesessen, dass sie April noch nicht einmal aufgefallen war. Ihr normalerweise perfekt sitzendes Haar wirkte leicht zerzaust, und sie hatte unübersehbar geweint. Außerdem hatte auch sie ein großzügig gefülltes Glas in der Hand.
»April hat nichts damit zu tun? Oh, das sehe ich aber ein bisschen anders«, wandte Mr Osbourne ein. »Schließlich wäre Davinas reizende kleine Freundin beinahe in unserem Vorgarten verblutet, oder hast du das schon wieder vergessen?«
Nicholas wandte sich April zu. »Du musst meine Frau bitte entschuldigen. Normalerweise kehren wir gewalttätige Auseinandersetzungen wie diese hübsch unter den Teppich.«
»Nicht, Dad!«, warf Davina ein.
»April macht das bestimmt nichts aus, oder, April?« Ein boshaftes Lächeln trat auf Nicholas Osbournes Züge. »Schließlich war sie ja dabei, als Benjamin gestorben ist. Damit gehört sie ja praktisch zur Familie, oder? Im Tode vereint, so wie wir anderen auch.«
Davina starrte ihn nur wortlos an.
»Ihr Verlust tut mir sehr leid, Mr Osbourne«, murmelte April.
»So? Tja, da wärst du die Erste. Ansonsten scheint sich niemand auch nur einen Pfifferling darum zu scheren, dass er tot ist.«
»Nick!«, herrschte Barbara ihn an.
»Was denn? Siehst du das etwa anders?«, schrie er und fuhr herum, wobei sein Drink über den Glasrand schwappte. »Wie viele Leute waren denn bei seiner Beerdigung? Vier? Alle seine vielen Freunde … plötzlich ist keiner mehr da. Woran mag das wohl liegen?«
April steckte in der Klemme. Es wäre unhöflich gewesen, einfach die Kurve zu kratzen, aber hier zu stehen und mitansehen zu müssen, wie der Mann vor Kummer beinahe den Verstand verlor, war entsetzlich qualvoll. Kein Wunder, dass die Osbournes es zugelassen hatten, dass ihr sonst so sorgfältig gepflegtes Haus im Chaos versank. April wusste nur allzu genau, dass im Angesicht des Todes selbst die banalsten Dinge wie eine umgekippte Kaffeetasse keinerlei Bedeutung mehr hatten.
»Wir haben sie adoptiert, wusstest du das?« Nicholas schwenkte sein Glas in Richtung der Wand neben den Stufen, wo ein ziemlich neu aussehendes Ölgemälde von Davina und Benjamin hing.
»Wir müssen das jetzt doch nicht alles durchkauen, oder? April ist hier, weil sie mich besuchen wollte«, sagte Davina.
»Aber wer wird es ihr erzählen, wenn ich es nicht tue?«, widersprach er. »Deine Mutter? Du? Offenbar will keiner von euch auch nur seinen Namen in den Mund nehmen.«
Mr Osbourne trat neben April und legte ihr den Arm um die Schultern. Der scharfe Gestank seines Whiskeyatems schlug ihr entgegen, und sie hatte Mühe, sich nicht abzuwenden.
»Er war so ein gut aussehender Junge, April. Alle beide«, sagte er, scheinbar ohne Aprils Unbehagen zu bemerken. »Und waren wir nicht überglücklich, Barbara? Wir konnten keine eigenen Kinder bekommen, April. Und dann hat uns der Himmel diese beiden kleinen Geschöpfe geschickt, und plötzlich war alles wie mit Feenstaub bedeckt: der Job bei Agropharm, das Haus, unser ganzes Leben. Was hätte man mehr verlangen können? Aber es war alles auf Sand gebaut, und am Ende hat er uns ins Verderben gezogen, uns alle.«
Davina trat zu ihnen und nahm Aprils Arm. »Komm, April, du brauchst dir das nicht anzuhören. Lass uns in mein Zimmer gehen.«
Doch Nicholas verstärkte den Druck um ihre Schultern.
»Nein, ich bin sicher, April will das hören, das stimmt doch, April, oder? Sie hat immer großes Interesse an unserer Familie gezeigt, oder irre ich mich? Erinnerst du dich noch an den Winterball, als du und deine Freundin Caro mich wegen Agropharm gelöchert habt? Vielleicht soll ich dir ja jetzt ein wenig mehr darüber erzählen, was meinst du?«
Davina ließ ihren Arm los.
»Ich warne dich, Dad.«
»Mich? Warnen?« Er lachte. »Womit um alles in der Welt könntest du mir drohen? Was kannst du mir denn noch wegnehmen? Ich habe doch sowieso nichts mehr. Gar nichts.«
Er beugte sich zu April vor.
»Man hat mich nämlich gefeuert, April«, sagte er in verschwörerischem Tonfall. »Na ja, sie nennen es betriebsbedingte Kündigung, der vielgerühmte ›goldene Handshake‹, aber in Wahrheit bin ich überflüssig geworden. Ich passe nicht mehr zu ihnen, kannst du dir das vorstellen?«
»Schatz, bitte.« Barbara erhob sich. »Ich glaube, das reicht jetzt.«
»Das reicht? Blödsinn! April will doch
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