Der schlafende Engel
Datenbank finden können. Dann fiel ihr etwas ein. »Versuchen Sie es mit Lily Swift.«
April hörte das Klappern der Tastatur im Hintergrund.
»Der 15. März 1887.«
Sie war es. 1887. Das war das Jahr, in dem Lily gestorben war und er sich in seiner Verzweiflung hatte verwandeln lassen, um sie nicht zu verlieren. Natürlich hatte Gabriel seinen Namen benutzt; schließlich waren sie verlobt gewesen und hatten heiraten wollen. Auf diese Weise hatte er gewährleistet, dass sie auch noch im Tod mit ihm vereint blieb. Vielleicht war es seine Art, sich an das Versprechen zu erinnern, das er ihr auf dem Sterbebett gegeben hatte, das Versprechen, immer stark zu bleiben, nur für sie, und niemals eine menschliche Existenz anzunehmen. Wäre sie nicht so eifersüchtig gewesen, hätte April all das unglaublich romantisch gefunden.
Konzentrier dich, April , ermahnte sie sich. Konzentrier dich darauf, was das alles zu bedeuten hat.
Eines stand jedenfalls fest: Sheldon hatte recht gehabt. Er hatte gegrinst, als Gabriel erzählt hatte, er sei in der Nacht von Isabelles Tod wegen Lilys Todestag auf dem Friedhof gewesen. Aber das stimmte nicht. Nur weswegen hatte er sich dann dort aufgehalten? Und, was noch viel wichtiger war, wieso konnte er sich nicht daran erinnern?
»Ist alles in Ordnung, Kind?«, erkundigte sich der Pfarrer.
»Ja, ja, es ist nur …«
In diesem Moment hörte sie, wie jemand den Schlüssel in die Haustür steckte, und wandte sich um.
»Entschuldigung, Mr Gordon, ich erkläre Ihnen später alles. Meine Mum ist gerade gekommen. Ich muss Schluss machen.«
Sie legte auf, gerade als Silvia mit mehreren schweren Einkaufstüten die Küche betrat. Dem Klirren nach ist das meiste davon flüssig, dachte April.
»Schatz!«, rief sie, ließ die Tüten fallen und durchquerte mit offenen Armen den Raum.
»Wie geht es dir? Sag mir die Wahrheit. Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht.«
April löste sich aus ihrer Umarmung.
»Mir geht’s gut, Mum. Kein Problem. Es ist gar nichts.«
»Gar nichts? Ich habe die Nachrichten gesehen. Nach ›gar nichts‹ hat sich das definitiv nicht angehört. Der arme Junge! Und direkt vor dem Haus, das ist ja grauenhaft!«
Der arme Junge , dachte April. Erstaunlich, wie ein tragischer Tod sämtliche Sünden zu tilgen schien, als wären sie niemals begangen worden. Die Presse hatte Calvin als »wunderbaren Sohn, liebevoll und sanftmütig« und als »Weltklasseathleten, auf dem Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit jäh aus dem Leben gerissen« bezeichnet. Kein Wort davon, dass er das Blut wehrloser Jungs getrunken oder sich an weinenden Mädchen vergriffen hatte.
»Ich bin bloß nicht herübergekommen, weil dein Großvater meinte, die Paparazzi würden sich auf mich stürzen und den Vorfall noch breiter treten.«
Ja, deswegen und wegen deines vollen Partykalenders , dachte April.
»Das war ohnehin nicht nötig, Mum«, sagte sie. »Ich habe schon Schlimmeres erlebt.«
Silvia musterte sie ernst.
»Ja, genau darüber wollte ich mit dir reden. Ich bin froh, dass du hergekommen bist. Wir müssen uns dringend unterhalten.«
Oh Gott, nicht schon wieder eines dieser Gespräche von Frau zu Frau , dachte April. All diese Diskussionen endeten unweigerlich mit einem Vortrag darüber, wie mies alle Männer seien, dass man ihnen nicht trauen dürfe und dass sie ganz schnell schwanger und mutterseelenallein in einer Sozialwohnung enden könne, wenn sie nicht aufpasste. Positive Stimmung zu verbreiten, gehörte eindeutig nicht zu Silvias Stärken. Trotzdem war April klar, dass sie sich diesmal nicht so einfach aus der Affäre ziehen konnte, also setzte sie sich mit einem widerstrebenden Seufzer.
»Also, ich weiß ja, dass du es seit unserem Umzug nach London nicht gerade leicht hattest«, begann Silvia.
»Das ist wohl die Untertreibung des Jahres«, bemerkte April.
»Genau«, gab Silvia zurück, scheinbar ohne die Ironie in Aprils Tonfall zu bemerken. »Dein Vater und ich haben den Entschluss gefasst, nach Highgate zu ziehen, und wie man sieht … nun, wie man sieht, war es ein Fehler. Ich muss dir sagen, dass ich wahnsinnig stolz auf dich bin, April. Darauf, wie du dich in diesem Chaos zurechtgefunden hast, trotzdem kann ich die Tatsache nicht leugnen – dein Vater und ich haben einen Riesenfehler gemacht.«
Sie hielt inne.
»Und deshalb gehen wir wieder zurück.«
April spürte, wie ihr die Kinnlade herunterfiel.
»Zurück? Nach Edinburgh?«
Silvia nickte.
»Mit dem Geld, das
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