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Der schlafende Engel

Der schlafende Engel

Titel: Der schlafende Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia James
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dunklem Holz vertäfelt, und an den Wänden hingen opulente, goldgerahmte Gemälde von irgendwelchen Göttern und molligen Engeln. Vermutlich hatte der Raum einst als Ballsaal gedient. Zum Glück waren die Blicke der rund fünfzig Gäste nach vorn gerichtet, auf den Mann hinter einem Podium am anderen Ende des Saals. April entdeckte einen freien Platz in der letzten Reihe und setzte sich.
    »Natürlich ist das eine reichlich radikale Herangehensweise«, erklärte der Mann hinter dem Podium gerade. »Und bislang haben wir die Radikalität eher gescheut. Aber wenn wir eine stärkere, zielorientiertere Generation erschaffen wollen, müssen wir auch etwas wagen. Wir müssen an unsere Ziele glauben und mit aller Entschlossenheit vorgehen. Keine Halbheiten, keine faulen Ausreden. Es wird Zeit, dass wir endlich handeln.«
    Wovon um Himmels willen redete er? Von der Leitung einer Schule oder von einem bevorstehenden Krieg? April ließ den Blick über die Gesichter der Anwesenden schweifen – fast ausnahmslos Männer, logisch, und eine Handvoll altbacken aussehender Frauen in wadenlangen Röcken. Auf allen Mienen lag derselbe Ausdruck: gespannte Erregung, wie man sie bei einer Sechsjährigen sah, die soeben eine Schachtel in Barbie-Format unterm Weihnachtsbaum erspäht hatte. Davina hatte recht gehabt: Es war eine Kundgebung für die Verwandelten und Sympathisanten. Professor Young sprach nicht von neuen Methoden bei der Schulbildung, sondern von »uns«, der Vampirnation, den Auserwählten und all ihren neuen Busenfreunden, und darüber, wie sie sich rüsteten, ihre Truppen in die Schlacht zu schicken.
    Unvermittelt brandete begeisterter Applaus auf, und vereinzelte »Hört, hört!«-Rufe wurden laut. Deswegen war die Frau mit dem Klemmbrett so betrübt gewesen, dass April die Rede verpasst hatte – Professor Youngs Ansprache war eindeutig das Highlight der Veranstaltung. Als der Professor das Podium verließ, erhoben sich die Gäste und gesellten sich in kleinen Grüppchen zueinander. Ein Kellner bot April ein Glas Weißwein an, doch sie entschied sich für einen Orangensaft; schließlich konnte es sich die Schulsprecherin nicht erlauben, bereits zum Mittagessen einen in der Krone zu haben, auch wenn ihr ein kleiner Ermutigungsschluck gewiss gut getan hätte.
    »Und? Wie fanden Sie die Rede des Professors?«
    April war so beschäftigt gewesen, sich umzusehen, dass sie den Mann neben sich nicht bemerkt hatte. Er hatte dunkles Haar und braune Augen, musste Mitte vierzig sein und sah ziemlich gut aus.
    »Tut mir leid, ich bin zu spät gekommen«, stammelte sie, »deshalb habe ich nur die letzten Minuten mitbekommen.«
    »Ach, Sie haben nicht viel versäumt. Der alte Dummkopf faselt immer dasselbe.« Er beugte sich vor. »Langweilt mich jedes Mal zu Tode, wenn ich ehrlich sein soll«, flüsterte er mit einem angedeuteten Lächeln.
    April musste grinsen und entspannte sich ein klein wenig. Wenigstens einer hier war nett zu ihr.
    »Und was führt Sie zu unserer kleinen Zusammenkunft, April? Das Buffet wird es wohl kaum sein.«
    April erstarrte, ehe ihr aufging, dass sie ja ein Namensschild trug. Der Mann ertappte sie dabei, wie sie suchend den Blick über seine Brust wandern ließ, und tippte sich ans Revers.
    »Tut mir leid, ich habe keines«, sagte er lächelnd. »Der Minister ist wohl der Ansicht, dass inzwischen jeder wissen sollte, wer ich bin.«
    Er streckte ihr die Hand hin.
    »David. David Harper.«
    April war so verblüfft, dass sie sich an ihrem Saft verschluckte und ihn prompt durch die Nase herausprustete.
    »Oje, so schlimm?« Lachend zog Harper ein Taschentuch heraus und reichte es ihr. »Offenbar haben Sie doch schon von mir gehört.«
    »Nein, nein, bitte entschuldigen Sie.« April spürte, wie sie rot anlief. »Sie sind nur mein Parlamentsabgeordneter, glaube ich.«
    »Ah, dann sind Sie also das neue Mädchen aus Ravenwood«, meinte Harper. »Wie läuft es denn so unter der neuen Führung?«
    Neue Führung? Welche meint er? Die akademische oder die Pro-Vampir-Bewegung? David Harper schien ein Mensch zu sein, trotzdem bestand durchaus die Möglichkeit – vor allem hier –, dass er dennoch sehr enge Kontakte zu den Vampiren pflegte.
    »Dr. Tame hat einige sehr … äh … bemerkenswerte Ideen«, sagte April taktvoll.
    »Die hat er, allerdings.« Sie registrierte ein verschmitztes Funkeln in Harpers Augen. Vielleicht war David Harper auch nur ein typischer Politiker – einer von denen, die mit dem Strom

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