Der schlafende Engel
könnte er sogar Premierminister werden, aber er wird keine echte Macht besitzen, sondern lediglich genau das tun, was der König ihm diktiert. Und wenn er nicht mitspielt – zack! – ab auf die Deponie!«
April sah sie an.
»Was denn?«, fragte Davina. »Wieso siehst du mich so an?«
»Ich verstehe nicht, wie du so gleichgültig über den Tod sprechen und gleichzeitig wegen Ben und Nicholas so am Boden zerstört sein kannst.«
»Weil Benjamin und Nicholas zu mir gehört haben«, erklärte sie mit Nachdruck. »Sie waren zwar nicht meine richtige Familie, aber so künstlich mein Zuhause auch sein mochte, war es trotzdem das einzige, das ich kenne. Sie haben mich beschützt, sich um mich gekümmert, und wer auch immer sie mir weggenommen hat, wird dafür bezahlen. Gerade du solltest das doch verstehen.«
April nickte.
»Aber diese Leute?« Davina tippte auf die Liste. »Sie alle sind nur aus einem einzigen Grund dabei: Gier. Sie halten es für einen ganz besonders schlauen Schachzug, sich mit den Wölfen anzufreunden, bevor diese das Dorf überfallen, dabei werden sie allerdings nur eines lernen: Mit wilden Tieren kann man keine Deals machen. Wenn die Zeit gekommen ist, werden sie mit all den anderen zusammengetrieben werden. Es werden alle sterben, April. Alle.«
»Sogar sie?« April deutete auf einen weiteren Namen auf der Liste. Francesca Bryne, Ravenwood .
»Chessy?«, stieß Davina hervor. »Ha, dass sie dort war, wundert mich nicht. Wie war noch mal dieses Sprichwort? Wer anderen eine Grube gräbt …«
April erzählte ihr von ihrer Begegnung mit ihr und ihrer verdächtig engen Freundschaft mit DCI Johnston, doch Davina zuckte nur mit den Achseln, als hätte sie nichts anderes erwartet.
»Sie macht sich nur an diejenigen heran, von denen sie sich den größten Nutzen erwartet. Zumindest glaubt sie das, aber sie wird schon bald feststellen, dass sie auf der falschen Seite steht. Ehrlich gesagt wird das sogar das Letzte sein, was sie sieht.«
Ein Schauder überlief April. Es war gruselig, Davina so reden zu hören.
»Schockiert dich das?«, fragte Davina. »Vielleicht sollte es das. Denn genau das ist ihr Plan. Moral und Anstand sind für Vampire ein Fremdwort. Sie werden alle töten, und wir müssen nach denselben Regeln spielen.«
April nickte langsam. Sie wusste, dass Davina völlig recht hatte und die Zeit für Halbherzigkeiten vorüber war. Schließlich hatte sie im Crichton Club mit eigenen Augen gesehen, bis in welche Kreise die Verschwörung mittlerweile reichte, und dass sie im Begriff standen, jederzeit loszuschlagen.
»Wir müssen sie aufhalten«, erklärte April.
Davina sah sie an und streckte die Hand aus.
»Also bist du dabei?«
Diesmal musste April nicht zweimal überlegen.
»Ich bin dabei«, sagte sie.
Fünfundzwanzigstes Kapitel
D icke graue Wolken hingen über der Swain’s Lane. Man konnte den Regen förmlich riechen, trotzdem war April froh, das Haus für eine Weile verlassen zu können. Sie musste allein sein, in Ruhe ihre nächsten Schritte planen. Aber es fiel ihr schwer, nachzudenken. Sie wünschte, sie könnte mit jemandem über Davina reden, aber höchstwahrscheinlich würden weder Caro noch Fiona verstehen, weshalb April sich entschieden hatte, mit einem Vampir zusammenzuarbeiten, noch dazu einem von der schlimmen Sorte.
Möglicherweise könnte Gabriel verstehen, dass sie alles in ihrer Macht Stehende tun musste, um den Vampiren ein Ende zu bereiten; dass ihnen die Zeit zwischen den Fingern zerrann und zu viel auf dem Spiel stand, um noch länger mit der Frage herumzutrödeln, wie es am besten funktionieren könnte. Aber Gabriel war immer noch wie vom Erdboden verschluckt. Genau deswegen ging sie die Straße hinunter in Richtung Friedhof – sie hoffte, ihn dort zu finden, so wie in jener ersten Nacht.
Die erste Nacht . Was war mit Isabelle geschehen? April ließ die Ereignisse noch einmal Revue passieren. Sie war die Swain’s Lane entlanggegangen, als ein Schrei aus dem Friedhof gedrungen war. Die Tore hatten offen gestanden, also war sie in die Dunkelheit getreten und hatte erst in letzter Sekunde die riesige Blutlache bemerkt. In diesem Moment war Gabriel wie aus dem Nichts aufgetaucht und hatte zu ihr gesagt, sie solle verschwinden, um ihr Leben laufen. Mittlerweile wusste April, dass es sich auf dem Weg um Isabelles Leiche gehandelt hatte. War ihr die ganze Sache über den Kopf gewachsen? Oder hatte sie tatsächlich versucht, die Vampire auszutricksen?
Weitere Kostenlose Bücher