Der Schlangenmensch
schläft wahrscheinlich nur auf seidenen Kopfkissen mit
Narzissenmuster. Aber, bitte, reiß dich am Riemen! Er könnte beleidigt sein,
wenn du einen Lachanfall kriegst.“
„Wenn’s mich übermannt, gehe
ich raus“, grinste Gerlich. „Hauptsache, er hat Moos, und es sitzt ihm locker
in der Tasche.“
„Je reicher, je geiziger. Das
ist zwar ‘ne alte Erfahrung. Aber den werden wir ausnehmen, daß er sich fühlt
wie ‘ne Weihnachtsgans.“
*
Verdorrte Grashalme vom Vorjahr
kitzelten ihn im Gesicht. Mit dem Pullover blieb er im Strauch hängen. Ein
fetter Regenwurm bewegte sich vor seiner Nase, aber Tarzan kroch noch ein Stück
weiter. Bis er fast unter dem geöffneten Fenster war.
Verwundert bemerkte er die
beiden Flaschen, die inmitten von Farnkraut auf zwei Ziegelsteinen standen.
Es waren Schnapsflaschen, beide
noch halbvoll.
„So! Das war also Walter
Jeske“, hörte er eine harte Stimme durchs Fenster. „Bis der hier ist, dauert es
sicherlich ein Weilchen.“
„Bestimmt“, sagte der zweite.
„Es ist zu vermuten.“
Er sprach schwerfällig.
Das wird Herbert Gerlich sein,
dachte Tarzan.
Den Nachnamen hatte er
festgestellt, als er vorhin am Grundstück vorbeischlenderte. Neben der
Gartenpforte hing ein Briefkasten, an dem — hinter einem Plastikfensterchen —
ein handgeschriebener Zettel steckte: Herbert Gerlich.
„Ich rufe auch Karpf und
Falkenstein an“, sagte Malowitz. „Die sollen einen schönen Sonntag haben.
Wissen sollen sie, daß jetzt einer da ist, der ihnen die Einbrüche macht. Wie
ist die Vorwahl von Birnbach und Neuettering?“
„Steht im Telefonbuch.“
Für einen Moment war Stille.
Malowitz blätterte sicherlich.
„Hast du nichts zu trinken?“
fragte er. „So ungastlich kann doch dein Haushalt nicht sein.“
„Was Kaltes?“
„Klar.“
„Habe ich nicht. Habe leider
keinen Kühlschrank. Ich trinke mein Bier immer zimmerwarm. Den Schnaps habe ich
zum Kühlen in den Garten gestellt.“
„Wahrscheinlich kocht er in der
Sonne. Egal. Hol ihn her!“
Das war das Stichwort für
Tarzan, schleunigst den Rückzug anzutreten.
Im Krebsgang robbte er unter
den Strauch, dann unter den nächsten. Noch ein Stück weiter — und er mußte sich
hinter einen Reisighaufen pressen.
Gerlich kürzte ab, indem er durch
das Parterrefenster stieg. Für einen Moment blieb er stehen. Er hielt das
Gesicht in die Sonne. Sein Blondhaar schimmerte wie gedroschenes Stroh.
Tarzan linste durch dürre
Zweige. Neugierig musterte er den Typ — das verbeulte Gesicht, den primitiven Ausdruck,
die gedrungene Gestalt.
Was hatte der denn am Hals?
Eine rote Kette? Nein! Eine Schramme! Tatsächlich eine Schramme! Und blond war
er auch. Und die Gestalt paßte.
Beinahe hätte Tarzan durch die
Zähne gepfiffen.
Wenn das nicht der Räuber aus
dem Klostertaler Park ist, dachte er, will ich ab sofort Gartenzwerg heißen.
Gerlich bückte sich und nahm
die beiden Schnapsflaschen auf. Dann stieg er durchs Fenster zurück.
Im toten Winkel an der Hauswand
richtete Tarzan sich auf. Er huschte in den hinteren Teil des Gartens, lief
hinter Büschen zum Nachbarzaun, sprang hinüber, ging an einer Laube vorbei und
flankte über eine hüfthohe Hecke in den nächsten Schrebergarten.
Auch hier stand kein Haus,
sondern nur eine Laube.
Hinter ihr saßen Gaby, Karl und
Klößchen in der Sonne. Die Kinder wußten zwar nicht, wem der kleine Garten
gehörte. Aber die Pforte war offen gewesen. Der Besitzer hätte sicherlich
nichts dagegen gehabt, daß sich die TKKG-Freunde hier für ein Weilchen
versteckten.
Sie konnten alles beobachten,
was sich bei Gerlichs abbruchreifer Bude tat. Sogar in Hörweite war man noch —
falls vor dem Haus geredet wurde.
„Wo warst du eigentlich?“
fragte Gaby. „Wir haben um die Ecke geschielt, um dich zu beobachten. Bis zum
Reisighaufen konnten wir deinen Weg verfolgen — dann nicht mehr. Dich hatte der
Erdboden verschluckt.“
„Ich habe mich flach gemacht
wie eine Flunder. Aber stellt euch vor: Der Blonde ist derselbe Kerl, der Ankes
Vater überfallen hat. Ohne jeden Zweifel. Er hat sogar eine Schramme am Hals,
wo ich ihm das Kettchen abriß.“
„Der hat aber Nerven“, staunte
Karl. „Erst überfällt er den Dürrmeier, und dann soll der mitmachen!“
„Wahrscheinlich rein zufällig.“
Tarzan dachte nach. „Ich nehme an, bis heute hat Gerlich gar nicht gewußt, wer
Dürrmeier ist. Und daß der als Schlangenmensch gebraucht wird, ist
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