Der Schlangenmensch
Ziertuch. Von gleicher Farbe waren Hemd und Hose. Im offenen
Kragen bauschte sich ein himmelblauer Seidenschal. An den Fingern blitzte und
funkelte es: Ringe mit garantiert kostbaren Edelsteinen.
Der Mann schritt durch die Gartentür
zum Haus, wobei er die Fußspitzen stark nach außen drehte. Er trug keine
Kopfbedeckung. Das Gesicht erinnerte an einen großen Vanille-Pudding. Auf dem
runden Kopf sproß nur spärliches Haar.
Die Eingangstür wurde geöffnet,
noch bevor er sie erreichte.
Der Mann, den die Kinder nur
schemenhaft hinter dem geöffneten Fenster gesehen hatten, trat dem Pudding-Typ
entgegen.
„Das ist also Malowitz“,
stellte Tarzan fest.
„Rotes Haar, roter Schnurrbart,
schwerer Schädel“, meinte Karl. „Seine Eleganz ist Talmi ( unecht ).“
„Herzlich willkommen, Herr
Jeske!“ rief Malowitz. Er hob die Arme, als wollte er den Besucher an sich
drücken.
Dann verschwanden beide im
Haus.
„Eins verstehe ich nicht“, meinte
Karl. „Wenn jemand einen Rolls-Royce fährt, ein 100 000-Mark-Auto, dann hat er
doch sicherlich eine ganze Menge Kleingeld. Wozu braucht der Einbrecher?“
„Du meinst“, sagte Tarzan, „er
könnte auf ehrliche Weise erwerben, was die für ihn klauen sollen?“
„Genau.“
„Weißt du, woher er sein Geld
hat? Vielleicht stammt es aus Einbrüchen.“
„Auch wieder wahr.“
„Wir warten noch, würde ich
sagen. Mal sehen, was jetzt passiert. Der Nachmittag ist ja noch lang. Nachher
sehen wir uns dann mal an, wo Jeske wohnt.“
Während sie warteten, paßte
immer einer von ihnen auf. Die anderen sonnten sich.
Gaby hatte ihre Bluse bis zum
dritten Knopf geöffnet und den Kragen nach innen geschlagen.
„Gib acht“, frozzelte Tarzan,
„daß dein Bauchnabel keinen Sonnenbrand kriegt.“
„Blöder Affe!“ murmelte sie.
Das Dekollete ( Halsausschnitt ) ließ sie unverändert.
Fast eine halbe Stunde verging.
„Er kommt“, meldete Klößchen,
der im Augenblick Wache schob.
Aus sicherem Versteck
beobachteten sie, wie Jeske zur Straße watschelte. Er schien hocherfreut. Sein
Puddinggesicht hatte jetzt Himbeerwangen.
Malowitz und Gerlich standen in
der geöffneten Eingangstür.
Jeske hatte seinen
Luxusschlitten fast erreicht, als er auf dem Absatz herumfuhr.
Mit theatralischer Geste faßte
er sich an den Kopf.
„Freunde, wie konnte ich das
nur vergessen! Die Liste der kleinen, ägyptischen Götter! Moment, Moment! Die
sind ja genauso wichtig. Hier!“
Er zerrte ein kleines Heft aus
der Innentasche seines Jacketts und marschierte zu den beiden zurück.
„Alle Abbildungen sind drin“,
erklärte er mit ungedämpfter Stimme, „die wichtigsten angekreuzt: Chnum, Min,
Osiris — und wie sie alle heißen.“
„Nicht so laut, Verehrtester“,
meinte Malowitz.
Er nahm das — offenbar
bebilderte — Heftchen entgegen.
Dann trennten sich Auftraggeber
und Einbrecher endgültig. Der Rolls-Royce schaukelte — nach umständlichem
Wendemanöver — in die Richtung zurück, aus der er gekommen war.
„Die kleinen, ägyptischen
Götter!“ wiederholte Klößchen. „Was, zum gefürchteten Steißtrommler! meint er
damit?“
„Hah!“ ließ Karl sich
vernehmen. Und man merkte ihm regelrecht an, wie er in seinem
Computer-Gedächtnis ein Fach aufzog. „Chnum, Min, Osiris! Das sagt mir genug.
Um es kurz zu erklären: Im alten Ägypten wurde eine Vielzahl von Göttern
verehrt — sozusagen für jede Gelegenheit einer. Da waren Chnum, der Wächter der
Nilquelle; Min, der Fruchtbarkeitsgott; Osiris, der Herrscher der Unterwelt;
Re-Horachte, der Gott der Morgensonne; Anubis, der Totengott; Thot, der
Mondgott; Amun-Re, Reichsgott und Sonnengott; Horus, Himmelsgott und
Königsgott; Ptah, der Gott der Handwerker; Hathor, die Liebesgöttin; Isis, die
göttliche Mutter aller Menschen; und Amun, der Luftgott. Die wurden...“
„Gab’s keinen Gott der
Schüler?“ fragte Klößchen.
„Nein, du Bildungsbanause.“
„Mir gefällt Hathor am besten“,
sagte Gaby. „Jedenfalls was den Klang des Namens betrifft.“
„Um fortzufahren, Freunde“,
ließ Karl sich nicht bremsen, „diese Götter wurden von einer Frau gestürzt.“
„Typisch!“ meinte Klößchen.
„Alles Unheil ..Er sah Gaby an und verstummte.
„Wer war die Dame?“ erkundigte
sich Tarzan.
„Nofretete, natürlich. Sie
lebte bekanntlich von 1381 vor Christus bis – vermutlich - 1344. Mit 17 Jahren
wurde sie die Gemahlin des ägyptischen Königs Amenophis IV., besser bekannt
unter dem Namen
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