Der Schlangenmensch
Echnaton. Bis zu dieser Zeit wurden im Pharaonenreich jene
Götter, die ich eben aufzählte, verehrt. Und eine politisch einflußreiche
Priesterschaft sorgte dafür, daß der Götterkult funktionierte. Nofretete, die
eine bildschöne, kluge und energische Frau war, hatte politischen Ehrgeiz. Ihr
Mann Echnaton war eine trübe Tasse. Was auch immer er an Entscheidungen von
sich gab, war — das ist der neueste Stand der Geschichtsforschung — in
Nofretetes hübschem Kopf entstanden. Ihrem Machthunger stand die besagte Priesterschaft
entgegen, die guten Grund hatte, ihre Pfründe zu verteidigen. Um die Priester
zu entmachten, schaffte Nofretete — mit Echnatons Billigung — sämtliche Götter
ab. Mit dem Trick sollten die Priester überflüssig werden. Und zunächst gelang
das auch. Gab es doch fortan nicht mehr die Riege der sogenannten Amun-Götter,
sondern nur noch einen Gott: Aton, die Sonnenscheibe mit den lebenspendenden
Strahlenarmen. Später fiel Nofretete allerdings bei ihrem Alten in Ungnade.
Ihre letzten Jahre verbrachte sie als Geächtete. Aton wurde abgeschafft, und
Amun kam als Reichsgott wieder zu Amt und Würden.“
„Sehr interessant“, sagte
Tarzan. „Ich frage mich nur, was will Jeske mit den kleinen, ägyptischen
Göttern - wie er sie nennt? Der Versuch, sie bei uns als Religion einzuführen,
dürfte ziemlich aussichtslos sein.“
Karl grinste. „Wenn er
sagt,klein’, meint er sicherlich die kleinen Figuren dieser Götter. Die alten
Ägypter waren fleißige Bildhauer. Alles, was sich abbilden ließ, haben sie der
Nachwelt erhalten: in Gold oder wertvollem Gestein. Was für Hits ihnen da
geglückt sind, beweist ja schon die wunderschöne Büste der Nofretete, die im
Ägyptischen Museum in Berlin steht. Das ist übrigens alles, was man von ihr
gefunden hat. Ihr Grab wurde bis heute nicht entdeckt.“
„Die Büste kenne ich“, meinte
Klößchen. „Sie hat nur ein Auge.“
„Die kleinen, ägyptischen
Götter!“ sagte Tarzan. „Was will Jeske damit?“
„Von ihnen“, erklärte Karl,
„gibt es, wie gesagt, äußerst wertvolle, weil einmalige Figuren. Nur so groß.“ Er
zeigte das Format einer Essiggurke. „Sie stehen in unserem Ägyptischen
Museum, werden aber im allgemeinen nicht so beachtet wie beispielsweise die
Goldmaske des Tut-aneh-Amun, dessen sterbliche Reste — die Mumie, meine ich —
erst kürzlich auf Tournee ging. Überall, wo er ausgestellt war, hatte er
ungeheuren Zulauf.“
„Jetzt“, sagte Tarzan, „geht
mir ein altägyptischer Seifensieder auf. Das Heftchen, das Jeske den Gaunern
gab, war ein Museumsführer. Die angekreuzten Figuren sollen geklaut werden. Nun
wissen wir’s.“
10. Für zehn Minuten böse
Bei Gerlichs Adresse rührte
sich nichts.
Die Kinder schoben ihre Räder
im Schutz der Büsche zur Straße und radelten in Richtung Innenstadt.
In einer Telefonzelle blätterte
Tarzan durchs Telefonbuch. Aber ausgerechnet eine J-Seite fehlte.
Bei der nächsten
Fernsprechzelle sah das dickleibige Teilnehmerverzeichnis noch zerfledderter
aus. Aber die J-Seiten waren vollständig.
„Wie nicht anders zu erwarten“,
verkündete Tarzan. „Jeske wohnt in vornehmster Gegend: im Vorort Rodenhausen.“
„Jetzt noch dorthin?“ Klößchen
zeigte keine Begeisterung.
„Warum denn nicht?“
„Ich verhungere bald.“
„Du hast doch gerade erst Torte
gegessen!“ tadelte Gaby.
„Das ist schon... ach, das ist
noch länger her.“
„Wir kommen bestimmt an einer
Verpflegungsstation vorbei“, tröstete Tarzan.
So war es dann auch. An einer
Würstchenbude stillte Klößchen seinen Appetit.
Vorsorglich ließ er sich ein
Paar Wiener Würstchen einwickeln. Heißgemachte, versteht sich.
Das Paket stopfte er sich in
die Hosentasche.
In Rodenhausen fuhren sie an
den tollsten Villen vorbei.
Jeske wohnte dort, wo die
neuerbauten Protzbauten — zum Teil hirnrissiger Architekten — das Bild prägten.
Jeskes Grundstück war von einer
hohen, dschungeldichten Hecke umgeben.
„Der will sich wohl nicht in
den Suppentopf gucken lassen“, meinte Karl.
Tarzan fuhr langsam an der
Einfahrt vorbei. Er konnte zur offenen Garage sehen, wo der Rolls-Royce stand.
Jeskes Haus war ein Mittelding
zwischen Bungalow und Kongreßhalle: groß, unübersichtlich, mit viel Glas und
eidottergelbem Verputz. Zwischen Haus und Hecke breitete sich gepflegter Rasen
aus — ohne einen einzigen Strauch.
Zu sehen war niemand.
Das Nachbargrundstück war
anders. Eine kaum kniehohe
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