Der schlaue Pate
war nur vorgeschoben. Ich weiß, dass der schlaue Pate nichts mit Ellen Kaisers Ermordung zu tun hat, und der würde auch nicht hier in Deutschland irgendwelche Frauen verschwinden lassen.«
Andreas ließ langsam Rauch entweichen. »Erst ist er der schlimme Finger, der dich reinlegt, um dich dazu zu bringen, Schwachstellen bei einem fiesen Geschäft zu finden und dich anschließend umbringen zu lassen, und jetzt hältst du ihn plötzlich für einen Ehrenmann?«
Prinz lächelte. »Er ist ein schlimmer Finger, der genau das vorhatte, aber er hat seine eigene Art von Ehre, auf die er sehr stolz ist. Den können wir beiseitelassen.«
Andreas hob die Schultern und sah an die Decke.
Ingrid schüttelte entschieden den Kopf. »Der Ewald Baginski, den ich kennengelernt habe, ist kein Mörder. Er hat weder Ellen Kaiser noch sonst jemanden umgebracht, schon gar nicht diese vielen Frauen.«
Prinz blickte von Desirée, die immer noch in sich versunken war, zu Professor Rind, der sein übliches zerstreut wirkendes Lächeln aufgesetzt hatte und endlich mitbekam, dass alle auf ihn warteten.
»Ja, nun, hm«, begann er. »Also, ich muss wirklich sagen, dass ich dazu neige, Ihre Einschätzung zu teilen, Ingrid.« Ihn redeten alle formell an, doch er war irgendwann zu angelsächsischem Siezen übergegangen. »Ich kann gar nicht mehr zählen, wie viele Stunden ich inzwischen in Ewald Baginskis Gegenwart verbracht habe, wobei er mir seine ganze Lebensgeschichte erzählte. Weder an ihm noch in seinem Haus ist mir auch nur die kleinste Kleinigkeit aufgefallen, die, nun, äh … Sicher, er ist eine Suchtpersönlichkeit mit gewissen manischen Zügen und Potenzproblemen, doch das bleibt alles auf einem Niveau, das keineswegs unverbreitet, sondern bei vielen Menschen anzutreffen ist, die deshalb durchaus nicht zu Gewalttätigkeiten irgendwelcher Art neigen müssen. Nichts davon kommt mir gefährlich vor, außer für, hm, seine eigene Gesundheit. Das Einzige an ihm, was für nahezu alle Serienmörder von Frauen zutrifft, sind die Potenzprobleme, aber nicht einmal ein Bruchteil eines Promilles aller Männer mit Potenzproblemen wird zu Serienmördern. Mir ist absolut nichts an ihm aufgefallen, was für eine gestörte Persönlichkeit sprechen könnte.«
»Der Mann ist garantiert kein Psychopath oder Soziopath«, bekräftigte Ingrid.
»Diese Begriffe sind ein bisschen, nun, veraltet«, erläuterte Professor Rind lächelnd. »Ein Psychopath ist dem, äh, Wortsinn nach eigentlich nur ein seelisch kranker Mensch, ein Soziopath ist auf eine Weise krank, die für seine Umgebung gefährlich ist. Man spricht heute von antisozialer Persönlichkeitsstörung, kurz APS , was alles Mögliche umfassen kann, bis hin zu Serienmord. Kennzeichnend ist bei einem Typus die ständige Missachtung von Regeln und Normen aller Art, Rücksichtslosigkeit aus Unfähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen oder stabile gefühlsmäßige Beziehungen zu anderen aufzubauen. Jemand, der an dieser Form von APS leidet, kann unter Umständen ein erfolgreicher Unternehmer, Manager oder Politiker sein, wobei Serienmörder unter diesen auch so gut wie gar nicht vorkommen. Baginskis Beruf, der außerordentliche Regelkonformität voraussetzt, sowie sein ganzes Verhalten sprechen gegen irgendeine Form von APS . Serienmörder sind zudem fast durchweg sozial nicht integriert, gehen gar keiner oder allenfalls unregelmäßiger Arbeit in eher niedrig stehenden Berufen nach, fallen durch Nichtbezahlen von Schulden, andere Gesetzesübertretungen sowie ständige Gereiztheit und körperlich aggressives Verhalten auf. Es gibt auch einen anderen Typus äußerlich meist beherrschter und wenig auffallender Menschen, die in Extremsituationen plötzlich Gewaltausbrüche verschiedenster Art produzieren, bis hin zu sorgfältig geplanten seriellen Morden, doch dabei handelt es sich um Personen, die außerhalb ihrer Ausbrüche eher schüchtern, überangepasst, ängstlich und deprimiert sind. Auf Baginski trifft weder das eine noch das andere zu. Bei dem Verhalten allerdings, das dieser, äh, Kriminaldirektor Karras gestern an den Tag legte, würde ich eine APS des ersteren Typs, nun, nicht eindeutig ausschließen.«
»Interessant«, meinte Prinz. »Ich könnte das nie so ausdrücken, Herr Professor, aber den Eindruck hatte ich auch.« Er blickte zu Desirée, die kaum wahrnehmbar den Kopf schüttelte. »Du bist anderer Meinung, Desirée?«
Endlich ließ sie diese Locke los,
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