Der schlaue Pate
den sie in seinem gegenwärtigen Zustand überaus hübsch und wohlriechend fand, und blies ihm einen zum Spaß. Als Prinz und Ollie herauskamen, machte sie gerade »Mmhhmm«. Prinz entdeckte nur Nikis entrücktes, zurückgelehntes Gesicht über dem Beifahrersitz und schüttelte grinsend den Kopf.
»Wenigstens ist ihnen nicht langweilig geworden«, meinte Ollie und steckte sich eine Fluppe in den Mund.
Am Dienstag danach hatten sie die Kasseler Spedition – es gab noch eine in Fulda und eine in Göttingen, die sie vorerst zu ignorieren beschlossen – seit zwei Tagen rund um die Uhr überwacht. Am Sonntag waren sechs Männer des Wachdienstes da gewesen, weil wegen des Sonntagsfahrverbots für Lkws mehrere Dutzend voll beladene Laster auf dem Hof gestanden hatten. In der Woche, wenn die meisten Laster unterwegs waren, gab es tagsüber keinen Wachdienst und nachts nur drei Wachmänner, die hauptsächlich die beladenen Lkws und ein großes Lagerhaus mit einer langen Reihe Laderampen im Auge behielten. An dem Gebäude mit den Büroräumen kam einer nur alle zwei Stunden mit einem Schäferhund vorbei, betrat es aber nicht, sondern kontrollierte nur die Tür.
Die Spedition lag gar nicht in Kassel, sondern in einem zur Gemeinde Niestetal gehörenden Gewerbegebiet an der A7. Nordhessen und Südniedersachsen, in der Mitte Deutschlands und Europas gelegen, hatten sich von benachteiligter Zonenrandlage zu Zentren der Logistikbranche entwickelt. Die Spedition war keine Minute von der nächsten Autobahnauffahrt entfernt. Ein riesiges umzäuntes Gelände, bis auf das Lagerhaus und das damit verbundene Bürogebäude alles lange Parkplätze, die meisten jetzt leer.
Prinz und Ollie kamen kurz nach zehn Uhr abends problemlos über den Zaun und in das Gebäude, dessen Tür Prinz wieder abschloss. Aber weil sie kein Licht machen und nur Stifttaschenlampen mit Punktstrahlern benutzen konnten, waren sie auf eine lange Nachtschicht eingerichtet. Der Betrieb begann gegen vier Uhr morgens.
Diesmal warteten nur Jörg und Dirk in dem Peugeot vor einer anderen Spedition im Dauerregen.
Ollie entdeckte das Chefbüro von Boris Tews. Sie beschlossen, sich das zuerst vorzunehmen und sich erst danach um das gegenüberliegende Büro des Geschäftsführers der Spedition zu kümmern, obwohl Tews nicht oft hier war. Prinz nahm sich als Erstes den Safe vor, in dem er einen alten Freund erkannte, mit dem er früher oft zu tun gehabt hatte, und brauchte kaum eine Viertelstunde.
Nach knapp zwei Stunden klingelte eines von drei Telefonen. Sie erstarrten. Rechnete jemand damit, dass Tews um diese Zeit hier über Akten brütete?
Nach dem siebten Klingeln hörte es auf. Ollie sah Prinz fragend an. Der zuckte die Achseln, und sie machten weiter.
Kurz nach Mitternacht, als der Wachmann mit dem Hund gerade vorbeigekommen war, ohne etwas zu bemerken, hörten sie Jörg aus dem Knopf im Ohr: »Ein Wagen steht vor dem Tor, der Fahrer hat das Licht ausgemacht und wartet.«
»Was für ein Wagen?«, fragte Prinz.
»Ein alter Lada, sieht ziemlich klapprig aus. Nur eine Person drin.«
Prinz trat an das Fenster mit Blick aufs Tor und lugte vorsichtig hinaus, um von draußen nicht gesehen zu werden. Da stand die Kiste im Regen.
Der Fahrer zündete sich eine Zigarette an.
»Igor«, flüsterte Prinz.
Ollie ließ den Punktstrahler herumwandern. »Ich bringe mal ’ne Wanze an.«
»Dass du die bloß nicht vergisst, wenn wir gehen. Wo waren noch mal die Klos?«
»Den Gang rechts runter, am Ende links.«
Ein weiterer Wagen hielt vor dem Tor. Ein großer schwarzer Porsche SUV . Der Fahrer ließ das Licht an, das Tor glitt auf, beide Wagen parkten vor der Tür.
»Tews«, sagte Prinz. »Abmarsch.« Ins Mikro: »Funkstille, bis sie weg sind.«
Sie rannten zu den Toiletten, hockten sich bei »Damen« in zwei Kabinen nebeneinander mit den Füßen auf den Klodeckeln, ließen die Türen leicht angelehnt.
Tatsächlich ging etwa eine Minute später das Licht an, aber jemand kontrollierte wohl nur, dass keine Tür ganz zu war, warf vielleicht auch einen Blick unter die Türen, dann ging das Licht wieder aus.
Ollie setzte ein Headset auf und schaltete den Empfänger so leise wie möglich an. Wie immer trug er unter der Winterjacke eine Lederweste mit zahlreichen Taschen, in denen alles mögliche technische Gerät steckte.
Igor und Boris Tews hatten kaum zwei russische Sätze gewechselt, als wieder ein Telefon klingelte. Tews ging ran und sagte etwas auf Russisch.
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