Der schlaue Pate
Sie interessieren dürfte.«
Sie nickte zu den beiden Besucherstühlen und sah auf ihre Uhr. »Drei Minuten.«
Während Andreas seinen eingeübten Vortrag begann, schien sie den Sekundenzeiger nicht aus den Augen lassen zu wollen. Nach einer halben Minute sah sie auf. Nach anderthalb Minuten klappte ihre Kinnlade runter. Nach drei Minuten hatte sie die Zeit völlig vergessen. Nach knapp sieben Minuten war Andreas fertig.
Oberstaatsanwältin Behrens, die wie jeder hier zwei meterhohe Aktenstapel auf dem Tisch hatte, während Bürowagen mit weiteren Akten herumstanden, starrte Andreas durch die beiden Stapel an; dann wanderte ihr Blick langsam zu Prinz.
»Sie haben das auf Band?«, fragte sie.
Prinz legte den Player auf den Tisch und drückte einen Knopf. Es war natürlich kein Band mehr, auch wenn jeder noch so redete.
»Es ist Russisch«, stellte sie fest.
»Hier ist die Übersetzung.« Andreas reichte ihr ein Blatt Papier, auf dem nur der Name des Arztes weggelassen worden war.
Sie überflog es, sah wieder auf und fixierte Prinz. »Sie sind eingebrochen. Mehrmals. Sie haben Privatpersonen illegal abgehört.«
»Genehmigungen sind datierbar«, wandte Andreas schnell ein.
Prinz schüttelte den Kopf. »Es ist kein Einbruch bemerkt worden, also hat es keinen gegeben. Den Safe hat die Gattin des Herrn aufgemacht, die das bestätigen und gegen ihn aussagen wird, sobald er keine Bedrohung mehr für sie darstellt.«
Behrens bedachte das, dann nickte sie. »Und Sie haben die Details zusammen?«
»Hier sind die Kopien der russischen Originale«, bestätigte Andreas und schob einen Aktenordner über den Tisch, »und die etwas schnelle, vorläufige Arbeit unseres Übersetzers. Das Computerspiel heißt ›Call of Duty – Modern Warfare‹, dritter Teil. Es ist am 8. November herausgekommen und der Renner im Weihnachtsgeschäft.«
»Ein Ballerspiel?«
»Ein sogenannter Egoshooter, ja.«
»Ekelhaft.«
»Ekelhaft«, stimmte Andreas zu. »Aber dass Menschen wie Sie und ich nur ganz entfernt von solchen Dingen wissen und ihre Existenz aus Prinzip missbilligen, ändert nichts an der Tatsache, dass ›Call of Duty – Modern Warfare 3‹ jetzt schon mehr Geld gemacht hat als ›Avatar‹, der bis heute erfolgreichste Kinofilm.«
»Pubertierende Jungs, oder?«
»Und Männer, die nicht erwachsen werden. Es ist erst ab achtzehn freigegeben, aber Sie und ich waren auch mal stolz, wenn wir es geschafft hatten, uns mit fünfzehn in einen Film ab achtzehn zu schmuggeln.«
Sie bedachte das und nickte dann, als könnte sie sich tatsächlich erinnern, etwas derart Gesetzloses getan zu haben. Dann kam sie zum Punkt. »Diese Herrschaften haben also vor, mit Produktpiraterie zweieinhalb Millionen Euro zu machen, praktisch ohne einen Handschlag dafür zu tun.«
Andreas, der wusste, dass sie jetzt nicht mehr anders konnte, nickte stumm. Dann beobachtete er erstaunt, wie die harten Gesichtszüge von Agnes Behrens weich wurden.
»Ab Montag werden hunderttausend Menschen dieses Spiel legal erwerben. Am Heiligen Abend wird es zweihunderttausend leuchtende Jungsaugen geben. Hunderttausend Mamas oder Papas, Omas oder Opas, Tanten oder Onkels werden beseligt zu Bett gehen, weil sie ihrem Jungen eine Freude gemacht haben. Am ersten Weihnachtsfeiertag werden alle diese Jungs dann versuchen, sich die ersten dieser …«
» DLC s«, soufflierte Andreas.
»… aus dem Internet herunterzuladen, wodurch sie als illegale Kopisten auffliegen, ihr Geschenk in ihrem eigenen Computer wie von Geisterhand gelöscht wird und sie für fünfzehn Jahre als Nutzer des Herstellers gesperrt sein werden.«
»Das bedeutet de facto lebenslang«, warf Prinz ein.
»Also werden aus zweihunderttausend Jungsaugen Tränen fließen, und am 27. Dezember, wenn ich eigentlich vorhabe, gar nicht hier zu sein, werden hunderttausend erboste Schenkende in Telefone schreien, wodurch ich gezwungen sein werde, bis nachts im Büro zu hocken und hektisch fruchtlose Ermittlungen einzuleiten. Denn Herr Tews ist ja nur der Spediteur. In dessen Restaurant sich allerdings gleichzeitig die hiesige Russenmafia zur Weihnachtsfeier versammelt.«
Die Oberstaatsanwältin schüttelte den Kopf.
Andreas und Prinz gaben keinen Mucks von sich. Was die Oberstaatsanwältin entschied, musste ihrem eigenen Hirn entspringen. Und dann beobachteten sie sprachlos, wie das Wunder eintrat: Hinten- SS lächelte. Wenn Andreas das später unter Kollegen erzählte, würde ihm keiner glauben
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