Der schlaue Pate
allerdings praktisch keine Bewegungsfreiheit. Nebenan war ein winziges Klo mit Waschbecken, Zahnbürste, Rasierer und den üblichen Herrenartikeln auf der Anrichte.
»Ja, es scheint, als habe er in letzter Zeit hier unten allein gehaust«, bemerkte Simoneit traurig auf Andreas’ fragenden Blick. »Auf diesen paar Quadratmetern. Fast ein bisschen verkommen. Früher hat er überall herumgewerkelt.«
Die drei Badezimmer oben, eines ursprünglich für das Ehepaar, eines für den Sohn, eines für Gäste, waren alle recht luxuriös eingerichtet.
»Nun ja, sie werden Anfang nächster Woche mit einem Möbelwagen noch mal herkommen«, sagte Simoneit versonnen. »Dann hat er das ganze Haus für sich.«
Hinter einem gerahmten Renoir-Druck fand Ollie einen verschlossenen Safe und blickte zu Prinz, der unmerklich den Kopf schüttelte.
Peter Simoneit hatte es plötzlich eilig, zurück ins Krankenhaus zu kommen. Sie sahen zu, wie der Jaguar um eine Ecke verschwand, und schwiegen bedrückt.
»Die Abgründe des Privaten hinter der wohlanständigen Fassade«, ließ Andreas sich schließlich vernehmen und zündete einen seiner Zigarillos an. Ollie und Björn Spohr hatten schon Zigaretten im Mund.
»Ob sie ihn mal geliebt hat?«, fragte Desirée. »Seine Frau, meine ich.«
»Wahrscheinlich zu sehr und zu lange«, meinte Andreas. »Während er immer von einer anderen träumte. Was meinst du«, fragte er Prinz, »will er unbedingt hierher, um an seinen Schnaps zu kommen?«
»Das ist das Wahrscheinlichste. Und er wollte nicht, dass wir das mitbekommen. Einer von uns muss mal dezent durchblicken lassen, dass uns völlig wurscht ist, wie viel er säuft.«
»Für den Prozess ist das nicht unbedingt wurscht.«
»Kannst du«, sagte Prinz zu Ollie, »die Bilder der Kameras auf deine Monitore leiten?«
Ollie schüttelte den Kopf. »Das ist alter Schrott. Und er kann jederzeit abschalten.«
»Aber wenn er mal hier ist, müssen wir feststellen können, wer zu ihm kommt. Das könnte nämlich auch sein: dass er sich mit jemandem treffen will, von dem wir nichts wissen sollen.«
»Sicher.« Ollie hatte ein glückliches Lächeln im Gesicht, wie immer, wenn seine besonderen Fähigkeiten gefragt waren. »Sieh dir das mal an.«
Prinz folgte seinem Blick zu dem Sendemast, der die Tannen überragte – und begann ebenfalls zu lächeln. Andreas starrte nach oben und schüttelte den Kopf.
Am nächsten Tag fegte ein Orkantief übers Land, das überall Bäume entwurzelte, von denen unter anderem drei Menschen erschlagen wurden. Der Bundespräsident kam aus dem Weihnachtsurlaub zurück und erklärte, er denke nicht an Rücktritt. Prinz hatte, Boris Tews’ Frau Katharina neben sich, in der Nacht kaum geschlafen, war erst am späten Vormittag aufgestanden und trotz des Wetters etwa zwanzig Kilometer gelaufen; im Sommer stählte er sich als Radrennfahrer. Als er frisch geduscht ins Esszimmer kam, trug Ingrid dampfende Teller auf. Ollie, Katharina, Jörg und Dirk saßen bereits am Tisch, Anja war gerade von ihrem Frühdienst im Klinikum zurückgekommen, Desirée aus der Uni und von einem Besuch bei ihrer Mutter, wonach sie wie üblich etwas niedergedrückt war.
Martina Müller wohnte in einem der hauptsächlich von Türken bewohnten alten Henschelhäuser in der Kasseler Nordstadt in einer Einrichtung vom Sperrmüll, besaß natürlich kein Auto und betrachtete das neue Leben ihrer Tochter mit einer Mischung aus Neid und Argwohn.
Nach dem Essen bedeutete Prinz Desirée und Ollie, sitzen zu bleiben. Anja, Katharina und Ingrids Söhne zögerten einen Moment, dann marschierten sie hinaus, Katharina nicht, ohne ihre übliche Schnute zu ziehen. Ingrid räumte das Geschirr in die Spülmaschine und setzte sich dazu.
»Also, was ist?«, fragte sie und sah Prinz an.
Der seufzte. »Tut mir leid, wenn diese Frau euch allen auf den Senkel geht«, sagte er. »Vorläufig kann ich sie nicht wegschicken.«
»Die geht uns nicht auf den Senkel«, meinte Ingrid. »Sie ist halt einfach da. Aber sie geht dir langsam auf die Nerven, was?«
Prinz sah an die Decke. »Ich hatte damit gerechnet, dass längst eine Art Botschaft dieses schlauen Paten gekommen sein müsste.«
»Was für eine Botschaft?«, fragte Desirée.
Da Prinz nichts sagte, übernahm Ollie: »Normalerweise, wenn so was passiert wie mit diesem Tews und Igor und seiner ganzen Gang, gibt es entweder den totalen Krieg, oder es kommen Verhandlungsangebote. Aber bis jetzt scheinen wir nicht mal von
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