Der schlaue Urfin und seine Holzsoldaten
stand noch hoch am Himmel, als Kaggi-Karr zurückkehrte. Mit triumphierender
Stimme schrie sie von weitem:
„Ich hab den Weg gefunden! Die Berge wollten mich zum Narren halten, aber ich habe sie
überlistet!”
Während sie erzählte, verschlang sie gierig große Stücke von den Kroxen, die der Seemann
gefangen hatte.
„Es ist natürlich kein bequemer Weg, nur ein Pfad, aber man kommt schon durch, wenn
man sich ein bißchen anstrengt. Außerdem führt er über einen Paß, der weit unter dem
Kamm verläuft. Ich will mich nicht loben, Onkel Charlie, wenn ich sage, daß nicht jeder
Vogel in dem Gewirr von Gipfeln und Kämmen den Paß gefunden hätte.”
„Bei allen Krähen der Welt, Kaggi-Karr, schon als ich dich zum erstenmal sah, war mir
klar, daß du ein außergewöhnlicher Vogel bist”, sagte der Seemann.
Und Elli fügte hinzu:
„Es war ja auch kein Zufall, daß gerade du den Scheuch auf den Gedanken gebracht hast,
sich nach einem Gehirn umzusehen!”
Kaggi-Karr fühlte sich geschmeichelt.
„Morgen müssen wir früh aufbrechen”, sagte sie, „denn der Weg ist weit und mühsam.”
Charlie besaß keine Bergsteigerausrüstung - weder Keile noch Haken, die man in den
Felsen schlägt, noch Strickleitern und was sonst noch dazu gehört. Aber die Wanderer
kamen auch ohne diese Dinge aus. Von der Krähe geführt, umgingen sie Steilhänge und
Abgründe. In der Tiefe hörten sie wilde Bäche rauschen.
An gefährlichen Stellen seilten sich Onkel und Nichte an, und Elli nahm Totoschka auf die
Arme.
Sie hatten bereits einen großen Teil des Weges zurückgelegt, als sie unvermittelt auf einen
tiefen Spalt stießen. Er war so breit, daß Elli ihn nicht überspringen konnte, von Onkel
Charlie mit seinem Holzbein ganz zu schweigen.
Ratlos standen sie da. Am meisten ärgerte sich Kaggi-Karr, die sich an allem schuldig
fühlte. Als sie über die Berge flog, war ihr der Spalt so klein vorgekommen, daß sie ihn
nicht weiter beachtet hatte.
„Ich will nachsehen, ob wir ihn umgehen können”, sagte die Krähe und flog, das Gelände
auszukundschaften.
Nach einer halben Stunde kehrte sie niedergeschlagen zurück.
„Ringsum sind solche Felsen und Abgründe, daß man unmöglich durchkommt”, meldete
sie.
Elli lächelte traurig.
„Mein Freund, der Scheuch”, sprach sie, „hätte gesagt: ,Da ist ein tiefer Graben, über den
kann man nicht springen. Um hinüberzukommen, braucht man eine Brücke. Also muß man
eine Brücke bauen.`”
Charlie sprang freudig auf:
„Elli, du hast mich auf eine famose Idee gebracht. Wir werden eine Brücke bauen!”
„Onkel Charlie, hier gibt es aber weit und breit keinen Baum.
Oder willst du vielleicht in das Tal der köstlichen Weintrauben zurückkehren?”
„Aber Kindchen, du hast wohl das Zaubertuch in meinem Rucksack vergessen? Heute wird
es sich in eine Brücke verwandeln!”
Er nahm eine Rolle dicken Bindfadens aus dem Rucksack, schnitt ein langes Stück ab,
faltete dieses doppelt zusammen und warf es über den Spalt, bemüht, daß es sich an einem
Felsvorsprung verfinge. Es gelang. Dann zog er beide Enden an und band sie auf seiner
Seite an einen Stein. Das wiederholte er mehrmals, und bald hing die straff gespannte
Schnur in mehreren Reihen über dem Spalt.
Elli schaute verwundert zu.
„Onkel Charlie, über eine solche Schnur kann doch nur ein Spatz auf die andere Seite
kommen.”
„Geduld, mein Kind, das ist ja nur die Stütze unserer Brücke.”
Der Seemann holte das Zaubertuch hervor, blies es zu einem prallen Polster auf und bettete
es auf die Schnüre. Elli hüpfte vor Freude, als er damit fertig war.
Charlie kroch vorsichtig über den Spalt und half dann Elli und Totoschka beim Übergang.
Als sie alle auf der anderen Seite waren, ließ Charlie die Luft aus dem Polster aus und legte
das Tuch wieder in den Sack. Dann zog er am Ende der Schnur, die auf Seemannsart
geknüpften Knoten lösten sich, und Charlie rollte die Schnur wieder zusammen.
Nun konnte die Schar ihren Weg fortsetzen.
Bald hatte sie den Paß hinter sich. Die Landschaft wurde freundlicher, die Hänge waren
jetzt nicht mehr so felsig und steil, da und dort zeigten sich sogar Bäume. Hier
Übernachteten die Wanderer.
Am nächsten Morgen begann der Abstieg. Als sie am Fuß der Berge angelangt waren,
sahen sie das Blaue Land vor sich.
Elli erkannte auf den ersten Blick die herrlic hen Gefilde der Käuer wieder.
Da waren die grünen Wiesen, umstanden von Bäumen, an denen saftige Früchte
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