Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
Dupont. Norah war nun nicht mehr ihre Schwester, sondern ihre Tante Karine und zugleich die Mama von Valentin.
Die Zwillinge sahen mich beunruhigt an: Langsam wurde das Spiel ganz schön schwierig!
Gemeinsam wiederholten wir unsere neuen Identitäten. Zacharias beharrte darauf, dass er Zach und nicht Valentin hieß. Der Ärmste hatte gerade gelernt, seinen Namen zu sagen! Nach zwei Tagen ständigen Wiederholens waren den Kindern die neuen Namen geläufig. Sie wussten, dass das Spiel ein Geheimnis zwischen uns bleiben musste. Niemand durfte davon erfahren, bevor wir nicht das Land verlassen und Kanada erreicht hatten.
Zwar verstanden sie den Sinn des Spieles nicht, doch sie vertrauten mir.
Achtundvierzig Stunden später waren die Papiere fertig. Redwane sollte sie mir im Austausch gegen das Geld übergeben. Diesmal hatte ich Vorkehrungen getroffen, um nicht ein zweites Mal betrogen zu werden.
Vor dem Treffen mit Redwane war ich so nervös, dass Norah anbot, mich zu begleiten. Der junge Mann erwartete uns bereits an einem etwas abseits stehenden Tisch.
»Hallo. Ihr wollt sicher gleich eure Pässe sehen. Hier sind die so sehnlich erwarteten Papiere. Sie riechen noch nach Klebstoff, und ich rate euch, sie heute Nacht ans offene Fenster zu legen.«
Ich nahm die Pässe und betrachtete den ersten: Es war mein eigener. Er wirkte völlig echt, denn schließlich stammte er ja von einer realen Person, deren äußere Merkmale mit meinen übereinstimmten. Nur das Foto war durch meines ersetzt worden. Hinzu kamen die Aufnahmen der Kinder, die alles noch viel glaubwürdiger machten. Auch Norahs Pass enthielt genau die Daten, die Redwane mir bereits genannt hatte. Sie musste sich also nur noch farbige Kontaktlinsen besorgen.
Doch dann bemerkte ich einen schrecklichen Fehler im Pass meiner Tochter! Valentins Alter stimmte nicht: Mein Kleinster war noch nicht einmal zwei Jahre alt, und im Pass stand er als Sechsjähriger!
»Wie kann man das jetzt noch korrigieren?«
»Das ist unmöglich. Die Daten waren bereits eingetragen, als das Foto von Valentin eingeklebt wurde. Jetzt lässt sich nichts mehr ändern. Es muss auch so gehen!«
»Ganz ruhig, Mama! Ich habe eine Idee: Wir sagen, dass Valentin eine seltene Krankheit hat, die zu Wachstumsstörungen führt.«
Stolz auf ihren Einfall, lächelte Norah mich an.
»Ja, grinse nur! Hoffentlich kannst du das auch dem Zöllner klarmachen!«, stichelte ich.
Da brachen wir alle drei in ein befreiendes Gelächter aus.
Jetzt mussten nur noch die Zwillinge das neue Alter von Valentin akzeptieren. Sie hatten ihren sogenannten Cousin stets als ein Baby empfunden, und jetzt sollte er plötzlich zwei Jahre älter sein als sie selbst! Ich wusste, dass diese Änderung ihren Stolz verletzen würde: Schließlich spielten sie sich vor ihrem kleinen Bruder so gerne als die Großen auf!
Meine Vermutung erwies sich als richtig: Ryan wollte sich nicht damit abfinden, dass sein kleiner Bruder älter sein sollte als er selbst. Trotzig erklärte er: »Ich werde bald sechs, aber er ist doch ein Baby.«
Jetzt war Diplomatie angesagt. So weit wie nötig erläuterte ich ihnen das Ziel unseres Spiels und versprach, dass in Kanada jeder sein eigenes Zimmer haben würde. Außerdem würden sie dort neues Spielzeug bekommen. Am Ende waren die Zwillinge damit einverstanden, dass ihr kleiner Bruder nun älter als sie sein sollte. Beim Niederschreiben dieser Zeilen wird mir klar, wie unglaubwürdig unsere Geschichte war!
Wir spielten die verschiedensten Situationen durch und wiederholten die Namen immer wieder, bis meine Jungen genau wussten, wie sie sich vor den Zollbeamten verhalten mussten. Aber verlangte ich nicht zu viel von ihnen? Würde das Ganze sie nicht zu sehr belasten? Die Beherztheit der Zwillinge beeindruckte mich. Mit ihren vier Jahren hatten sie begriffen, wie wichtig dieses Spiel war. Sie nahmen die Regeln ernst, weil sie intuitiv spürten, dass es sich nicht um ein normales Spiel handelte!
Nachdem wir die neuntausend Franc bezahlt hatten, blieb uns kaum noch genug Geld für unsere Flugtickets. All unsere Wertgegenstände hatten wir bereits verkauft.
Wir hatten schon fast fertig gepackt, als ich einen dringenden Anruf von Redwane erhielt. Norah und ich eilten sofort zu unserem üblichen Treffpunkt.
»Was ist denn los?«
»Mein Bekannter empfiehlt euch, von einem anderen europäischen Land aus zu fliegen. Die französischen Zöllner könnten die falschen Pässe leichter erkennen als
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