Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
äußerst farbigen Schilderung des Vorfalls in der Hotelhalle. Nachdem ich ihre Version etwas mehr mit den Tatsachen in Einklang gebracht hatte, eröffnete ich den beiden Mädchen, dass wir das Land möglicherweise mit falschen Papieren verlassen könnten. Dabei verschwieg ich ihnen nicht die Gefahren, die mit diesem Schritt verbunden waren.
Melissa geriet sogleich in Panik:
»Das kannst du nicht tun, Mama! Stell dir doch einmal vor, man verhaftet uns am Zoll! Am Ende verdächtigt man uns noch, Terroristen zu sein! Was geschieht dann mit uns?«
»Ich weiß nicht, was am Zoll passieren wird, aber ich weiß sehr genau, was uns blüht, wenn wir hierbleiben. Wir werden wie Hunde auf die Straße geworfen, wenn das Sozialamt dem Hotelbesitzer nichts mehr zahlt. Und selbst wenn man dort seine Meinung noch ändert: Glaubst du, dass das Leben, das wir seit über einem Jahr führen, gut für uns und deine kleinen Brüder ist? Jeden Tag müssen sie im Restaurant essen und haben keinen Platz zum Spielen mit Freunden! Ständig sehen wir uns Drohungen ausgesetzt! Hältst du das für ein normales Familienleben? Schlimmer als in den letzten Jahren kann es nicht werden, meine Lieben. Es ist höchste Zeit, dass dieser Albtraum ein Ende hat! Ich sehe keinen anderen Ausweg!«
»Ich bin ganz deiner Meinung, Mama«, meinte Norah nach kurzer Überlegung. »Wenn es eine Chance gibt, sich zu retten, muss man manchmal einfach den Sprung ins kalte Wasser wagen.«
Auch Melissa ließ sich von unseren Argumenten überzeugen.
Ich überschlug, wie viel Geld wir zusammenbringen würden. Bei der Ausreise aus Algerien hatte jede von uns ihren gesamten Schmuck getragen, um diesen im äußersten Notfall verkaufen zu können. Wir besaßen eine Kette, ein Paar Ohrringe, einen Armreif und zwei Ringe. Außerdem wollte Norah ihre mageren Ersparnisse opfern.
Nachdem die Kleinen gebadet hatten und zu Bett gegangen waren, gingen Norah und ich zu dem Treffen mit Redwane. Er wartete bereits auf uns.
»Seid ihr bereit, das große Abenteuer zu wagen?«
»Ja, das sind wir. Hier wird unsere Lage immer schlechter, und wir hoffen, dass wir woanders mehr Glück haben.«
»Dann kommen wir jetzt zum Geschäft! Ich habe mit dem Mann gesprochen, der die falschen Papiere herstellt. Da er anonym bleiben will, besteht er darauf, dass das Geschäft über mich abgewickelt wird. Ich werde also als Vermittler fungieren. Seid ihr damit einverstanden?«
»Für mich spricht nichts dagegen. Zwar habe ich mir geschworen, nie wieder einem Fremden zu vertrauen, aber deine Anteilnahme an unserem Schicksal lässt mich hoffen, dass du ein guter Mensch bist.«
»Hör zu, Samia. Ich lebe illegal hier in Frankreich. Man könnte mich jeden Augenblick verhaften, aber dank meines Aussehens halten mich die Polizisten für einen Franzosen oder zumindest für einen Europäer. Wenn ich euer Vertrauen missbrauche, könnt ihr mich anzeigen!«
»Ich habe keine Bedenken und vertraue dir – jetzt sogar noch mehr! Also, was hat dein Bekannter gesagt?«
»Jeder Pass kostet viertausend Franc und jedes Foto für die Kinder fünfhundert. Wie viele Pässe brauchst du, und wie viele Kinder möchtest du in jeden eintragen lassen?«
»Ich brauche zwei Pässe. In meinen werde ich meine vierzehnjährige Tochter und die vierjährigen Zwillinge eintragen lassen. Zacharias wird in den Pass von Norah eingetragen – als ihr Sohn.«
»Also zwei Pässe und vier Fotos. Das macht insgesamt zehntausend Franc. In Ordnung?«
War dieser Betrag angemessen? Ich hatte nicht die geringste Ahnung.
»Kann uns Ihr Kontaktmann vielleicht einen Rabatt gewähren?«, wollte die immer sehr pragmatische Norah wissen.
»Ich rufe ihn sofort an!«, antwortete Redwane lächelnd.
Während er hinausging, belehrte mich meine Tochter:
»Man darf nie sofort ja sagen, Mama. Mit diesen Leuten kann man immer verhandeln. Das habe ich in Filmen gesehen«, erklärte sie schmunzelnd.
Redwane kam zurück und setzte sich wieder zu uns.
»Da er ein Landsmann ist, verlangt er nur neuntausend statt zehntausend Franc.«
Ich warf Norah einen fragenden Blick zu. Sie nickte zustimmend, und so gab ich mein Einverständnis.
»Gut, dann ist die Sache beschlossen. Jetzt brauche ich die Namen und das Alter deiner Lieben und natürlich die Fotos.«
Ich reichte ihm die Passbilder und schrieb die Namen auf, die ich mir für meine Kinder ausgedacht hatte, um eine mögliche Suche meiner Eltern und Brüder zu erschweren.
Erfüllt von einer gewissen
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