Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
es so weit. Benimm dich so, dass deine Eltern stolz auf dich sein können. Ich gehe jetzt ins Wohnzimmer zurück und rufe dich dann!«
»Samia, mein Liebes! Bring unserem Gast den Kaffee!«, rief sie ein paar Minuten später.
Mit zitternden Knien griff ich nach dem Tablett und fürchtete zu stolpern. »Gott! Lenke meine Schritte!«, flehte ich. Und seltsam: Der Gedanke, dass meine Mutter von meinem Verhalten erfahren würde, verlieh mir die Energie, die ich sonst nicht aufgebracht hätte.
Im Wohnzimmer stellte ich das Tablett auf den Tisch und sagte »Guten Abend«, ohne auch nur ein einziges Mal aufzusehen. Nur ein Detail fiel mir auf: Mein Zukünftiger trug schwarze, blank gewichste Schuhe.
So schnell wie möglich floh ich zurück in die Küche, als sei mir der Henker auf den Fersen. Ich kauerte mich in eine Ecke und vergrub meinen Kopf zwischen den Knien. Jetzt konnte ich meine Tränen der Hoffnungslosigkeit und Wut nicht länger zurückhalten. Ich hatte diesen Mann nicht ansehen wollen, doch ich konnte mir sehr gut vorstellen, wie er mich von oben bis unten gemustert hatte, um abzuschätzen, ob es sich lohnte, die angebotene Ware zu kaufen.
Ich hätte viel darum gegeben, jetzt mit Amina sprechen zu können, aber das Telefon stand im Wohnzimmer. Es kam nicht infrage, dass ich noch einmal dorthin ging. Also harrte ich allein in der Küche aus. Ich hörte, wie sie drüben lachten und plauderten. Alle schienen sich auf meine Kosten zu amüsieren.
Eine Stunde später teilte mir meine Tante in höchster Erregung mit, dass der junge Mann entzückt von mir gewesen sei und sofort eingewilligt habe.
»Wie ist das möglich?«, rief ich empört. »Ich weiß noch nicht einmal, wie er aussieht, da ich nicht ein einziges Mal aufgeblickt habe.«
»Das ist deine eigene Schuld! Ich habe dir doch die Gelegenheit gegeben, ihn anzusehen! Jetzt ist es zu spät. Jedenfalls ist er einverstanden und hat versprochen, mir bald dein Geschenk zu überbringen. Er ist sehr glücklich, dass du seine Verlobte bist.«
»Ich glaube, er war nur deshalb einverstanden, weil ich die Tochter seines Chefs bin. Warum sollte er sonst einwilligen, eine Frau zu heiraten, die er heute zum ersten Mal gesehen hat?«
»Wozu willst du dir darüber den Kopf zerbrechen, Samia? Ich werde deiner Mutter alles berichten. Und ich hoffe doch, ich kann ihr sagen, dass du einverstanden bist!«
Blieb mir überhaupt eine andere Wahl? Ohne meine Antwort abzuwarten, rief sie meine Mutter an und erzählte ihr alles haarklein, wobei sie immer wieder die positive Antwort meines Freiers herausstrich. Während sie noch mit meiner Mutter sprach, bedeutete sie mir, dass sie jetzt endlich eine Antwort hören wollte.
»Sag ihr, dass ich einverstanden bin«, ergab ich mich in mein Schicksal.
Dann flüchtete ich in mein Zimmer, um mein Los zu beweinen. Die bevorstehende Heirat bedeutete, dass meine Familie mich aufgab, ohne sich um mein Glück zu scheren. Von nun war ich nichts mehr wert und bedeutete niemandem etwas. Hatte ich kein Recht, glücklich zu sein?
»Möchte die Braut die Botschaft ihrer Mutter hören?«, fragte meine Tante fröhlich, nachdem sie das Gespräch beendet hatte.
In meinem Innern dachte ich, dass die Braut eher einer Toten glich.
»Heute habt ihr mich umgebracht!«, schrie ich so laut ich konnte.
»Schweig! Sprich nicht vom Unglück! Was soll das heißen? Umgebracht? Du hast mir doch gesagt, dass du diesen Mann akzeptierst! Du solltest wissen, was du willst, meineSchöne! Deine arme Mutter kann einem leidtun, da sie eine Tochter mit einem solchen Charakter hat! Du verdienst es nicht, dass ich dir ihre Worte wiederhole.«
Ich begriff, dass ich die Grenzen der Höflichkeit überschritten hatte. Also entschuldigte ich mich und bat dann, meine Freundin anrufen zu dürfen.
»Jetzt verstehe ich deine Art der Entschuldigungen«, entgegnete sie wütend. »Du willst mich gnädig stimmen, um mit deiner Freundin, dieser Schlampe, sprechen zu können. Damit bin ich nicht einverstanden, und deine Mutter übrigens auch nicht. Du solltest sie besser vergessen.«
»Darf ich sie wenigstens noch einmal sehen?«, flehte ich. »Ich werde mich bestimmt nicht von ihr beeinflussen lassen, das verspreche ich dir.«
»Versprichst du mir auch, dass du uns keine Scherereien wegen der Heirat machen wirst?«
»Das verspreche ich dir, Tante!«
Amina folgte meiner Einladung noch am gleichen Abend. Sie war eine schöne, elegante und strahlende junge Frau geworden. Früher
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