Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
Wie heißt es so schön bei uns: › Schließ die Tür, durch die der Wind hereinzieht. ‹ Übrigens bin ich mir sicher, dass sie nicht zu ihrer Tante fährt, sondern sich mit ihrem Franzosenbastard herumtreibt. Ich sage dir, sie ist eine Schlampe.«
Als Amina ins Zimmer kam, verstummte sie.
In unsere Gedanken versunken frühstückten wir schweigend. Als dann der Augenblick des Abschieds kam, schloss sie mich in ihre Arme.
»Verheiratet oder nicht, ich werde immer für dich da sein, wenn du hierher zurückkommst. Gib mir dann auf jeden Fall Bescheid!«
Diese Worte waren Balsam für meine Seele.
Nachdem sie mich ein letztes Mal umarmt hatte, ging sie fort, ohne sich noch einmal umzuwenden.
Abermals musste ich mich unter traurigen Umständen von meiner besten Freundin trennen. Ich wäre so gerne an ihrer Stelle gewesen – frei in meinem Handeln und vor allem in der Wahl meines Liebsten.
Wie alle Mädchen meines Alters hätte ich eine wunderschöne Liebesgeschichte erleben und meine Schulzeit fortsetzen wollen. Aber das war mir nicht vergönnt. Das Leben oder vielmehr meine Eltern hatten etwas anderes beschlossen.
Die sogenannte Ferienwoche neigte sich bereits dem Ende zu, als meine Tante mir den Besuch meines künftigen Ehemannes ankündigte. Er wollte mir mein Verlobungsgeschenk überreichen: einen Ring und eine Armbanduhr.
»Wie konnte er einen Ring für mich kaufen, wo er nicht einmal weiß, wie dick mein Finger ist!«, rief ich erstaunt aus.
»Ich habe ihm gesagt, dass deine Finger so schmal wie Bleistifte sind! Du wirst ihn von einem Juwelier anpassen lassen können. Bist du glücklich?«
»Warum sollte ich glücklich sein? Wegen des Ringes? Ich habe viele Ringe zu Hause! Was den Mann angeht, so kenne ich ihn nicht, und ich liebe ihn auch nicht. Ich habe nicht die geringste Vorstellung von dem Menschen, den ich heiraten werde.«
»Daran bist du selbst schuld!«, tadelte sie mich erneut. »Du hättest ihn nur ansehen müssen, als er zu Besuch kam. Spiel nicht das Unschuldslamm, das von uns unterdrückt wird! An deinem Hochzeitstag wirst du ihn ja spätestens sehen, und dann hast du das ganze Leben lang Zeit, ihn lieben zu lernen.«
Anstatt mich aufzumuntern, hatten diese Worte meiner Tante eine niederschmetternde Wirkung auf mich. Mir wurde klar, dass für meine Eltern alles nach Plan lief und ich nichts mehr dagegen unternehmen konnte.
Am späten Nachmittag kam der Mann, den man als meinen Verlobten bezeichnete, bei uns vorbei. Er sprach und scherzte mit meiner Tante. Je länger ich seine Stimme hörte, desto mehr verabscheute ich sie.
Als die Tür hinter dem Mann ins Schloss gefallen war, kam meine Tante zu mir, um mir sein Geschenk zu zeigen. Sie stieß die berühmten Freudenschreie der arabischen Frauen aus und rief:
»Meinen herzlichen Glückwunsch, Liebes! Öffne dein Geschenk. Ich kann es gar nicht erwarten zu sehen, ob der Ring einer Samia Shariff würdig ist!«
»Ich will es nicht öffnen. Ich habe ihn um nichts gebeten. Öffne es selbst, wenn dir so viel daran liegt!«
Wie ein tollpatschiges Kind, das seine Neugierde kaum noch beherrschen kann, riss sie das Geschenk auf. In dem Schächtelchen lagen ein Ring mit einem dicken Smaragd und eine goldene Armbanduhr. Überwältigt reichte meine Tante mir die Geschenke.
»Pack die Sachen sorgfältig ein, und gib sie deiner Mutter, wenn du wieder zu Hause bist. Du musst diesen Schmuck gut hüten, denn du wirst ihn dein Leben lang tragen. Willst du ihn jetzt nicht einmal anlegen?«
»Im Augenblick habe ich keine Lust, aber vielleicht später.«
»Was soll das heißen?«, empörte sie sich. »Bist du etwa nicht zufrieden? Die Mädchen sind heutzutage wirklich sehr undankbar.«
Ich ging in mein Zimmer, um ihren kränkenden Worten zu entfliehen. Wie konnte sie auch begreifen, dass dieser Schmuck für mich nur das Symbol einer lebenslangen, unfreiwilligen Bindung war?
3. Meine Hochzeit
Meine sogenannten Ferien waren zu Ende, und ich kehrte nach Algerien zurück. Ich war glücklich, dass eine räumliche Entfernung zwischen mich und meinen sogenannten Verlobten trat – samt dem Albtraum, der sich damit verband. Nachdem ich mich am Flughafen von meiner Tante und meinem Onkel verabschiedet hatte, bestieg ich eilig die Maschine, um die Erlebnisse dieser Woche hinter mir zu lassen.
Ich versuchte mich nun auf die lästigen Fragen meiner Mutter einzustellen. Erwartete sie etwa, dass ich bei der Vorstellung, einen von meinen Eltern ausgewählten Mann
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