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Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur

Titel: Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samia Shariff
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Boden, um seinem Blick auszuweichen.
    »Jetzt ist der Augenblick gekommen, in dem du alles wiedergutmachen kannst. Denk an unsere Ehre, Samia«, beschwor mich meine Mutter flüsternd, bevor sie sich zurückzog.
    Nun stand er an meiner Seite. Einen Augenblick lang fürchtete ich, in Ohnmacht zu fallen, aber ich fing mich wieder. Eine Sängerin umschmeichelte mich mit Lobpreisungen, das Publikum applaudierte.
    Nun musste ich nacheinander in den zwölf von meiner Mutter ausgewählten Kleidern erscheinen. Eine Frau geleitete mich in ein Zimmer, wo ich jedes Mal ein neues Kleid überstreifte. Dann musste ich wieder zu meinem Platz schreiten, fünf Minuten dort sitzen bleiben und erneut hinausgehen. Dieses Herumstolzieren gefiel mir nicht sonderlich, aber so konnte ich wenigstens etwas tun und mich außerdem immer wieder von meinem zukünftigen Ehemann entfernen.
    Nach dem zwölften Kleid legte ich erneut das Hochzeitskleid an, das für mich eher dem Gewand einer zum Tode Verurteilten glich! Mit einem strahlenden Lächeln bedeutete meine Mutter meinem zukünftigen Ehemann, dass nun der Augenblick gekommen sei, die Ringe zu tauschen. Er wandte sich zu mir und bat mich, ihm die Hand zu reichen. Es war das erste Wort, das er mit mir sprach. Alle Augen waren nun auf uns gerichtet! Ich blickte mich nach irgendetwas Tröstlichem um. Meine Mutter gab mir zu verstehen, dass ich mich auf die Zeremonie konzentrieren solle, doch mein Blick irrte weiter umher. Tante Karima sah mich traurig an. Sie wies auf ihren Finger, und ich begriff, dass ich nun handeln musste. Ich nahm den Ring, er fiel herunter und Abdel musste ihn aufheben. Mit zitternden Händen ergriff ich ihn erneut und vollbrachte mit großer Mühe, was man von mir verlangte. Noch nie zuvor hatte ich die Hand eines Mannes berührt, der nicht zu meiner Familie gehörte. Ich werde diesen Moment nie vergessen!
    Nach dem Tausch der Ringe fühlte ich mich erleichtert, aber dieses Gefühl währte nur kurz, denn ich wusste, dass nun der schicksalhafte Augenblick nahte! Gegen zwanzig Uhr stimmten die Sänger das Abschiedslied an, Abdel führte mich zum Ausgang. Tante Karima eilte noch einmal zu mir.
    »Ich bin da, Samia, hab keine Angst. Ich begleite dich bis zum Haus deines Onkels, wo du die Hochzeitsnacht verbringen wirst.«
    Ich bat sie, meinen Schleier zurechtzuziehen, damit man meine Tränen nicht sah. Dieses Stück Stoff hatte zumindest den Vorteil, dass ich mich von der Außenwelt abschotten konnte.
    Dann führte sie mich zu dem Auto, in dem die Frauen fahren sollten.

4. Was für eine Hochzeitsnacht!
    Nach algerischer Tradition würde mein Ehemann – von nun an war er ja mein Ehemann – nach mir an dem Ort eintreffen, wo die Hochzeitsnacht stattfinden sollte. Heute halten sich nur noch strenggläubige Muslime an diese Regel.
    Nachdem wir das Haus meines Onkels erreicht hatten, zeigte Tante Karima mir das Hochzeitszimmer. Es war ein großer Raum mit gedämpfter Beleuchtung. In der Mitte stand ein großes Bett mit Vorhängen, auf dem Seiden- und Spitzendecken lagen. Das Ganze wirkte sehr unheimlich auf mich, und es lief mir kalt den Rücken hinunter.
    Noch einmal versicherte mir Tante Karima, dass alles gut werden würde. Doch schon meldete uns die Schwester meiner Mutter, der das Haus gehörte, die Ankunft meines Ehemanns, und Tante Karima musste mich verlassen. Ich klammerte mich an sie.
    »Bitte, Tante, bitte geh nicht fort! Ich habe solche Angst. Lass mich nicht allein mit ihm. Bring mich weg von hier.«
    »Ich werde im Zimmer nebenan bleiben. Du kannst mich rufen, wenn du mich brauchst.«
    Sie verließ den Raum und ließ mich allein mit meinen Tränen und meiner Angst. Kurz darauf ging die Tür auf.
    Mein Ehemann betrat das Zimmer wie ein Pascha seinen Palast. Ein paar Augenblicke verharrte er reglos, dann kam er langsam näher. Mir stockte der Atem.
    »Endlich! Jetzt sind wir allein«, sagte er sarkastisch. »Ich will, dass du mich anschaust!«
    Ich war unfähig, seiner Aufforderung zu folgen. Mit seinem Zeigefinger hob er mein Kinn, sodass ich zum ersten Mal sein Gesicht richtig ansehen konnte und musste.
    Er war dreißig Jahre alt, sah aber sehr viel älter aus. Seine Züge waren recht harmonisch, aber sein Gesichtsausdruck wirkte hart. Wäre sein Blick weicher und freundlicher gewesen, hätte man ihn als schön bezeichnen können.
    Er setzte sich dicht neben mich und musterte mich in aller Ruhe von Kopf bis Fuß. Dann begann er mich zu berühren. Mit immer mehr

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