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Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur

Titel: Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samia Shariff
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zu Hause war.
    Ihr Ehemann meldete sich, und dann hörte ich, wie er zu Amina sagte:
    »Es ist deine Freundin Samia, ich glaube, sie weint.«
    »Samia, was ist passiert?«
    »Komm schnell, Amina, ich brauche dich. Sie haben mir mein Baby weggenommen.«
    »Wer hat dir dein Baby weggenommen?«
    Ich erzählte ihr in aller Kürze, was geschehen war. Eine Viertelstunde später klingelte sie an meiner Tür.
    Amina hatte ihren französischen Freund geheiratet, obwohl ihre Eltern damit nicht einverstanden waren. Sie wirkte glücklich und schien immer noch verliebt. Sie hatte ihr Leben so geführt, wie sie es für richtig hielt. Für mich war sie der Inbegriff der freien arabischen Frau, und ich bewunderte den Mut, mit dem sie ihrem Umfeld die Stirn geboten hatte. Ich wollte immer so sein wie sie, und jetzt wünschte ich mir das noch viel mehr.
    Sie ermutigte mich, ihrem Beispiel zu folgen, aber schon als Kind war mir klar gewesen, dass ich nicht ihren Mut besaß. Allerdings waren wir auf sehr unterschiedliche Weise aufgewachsen.
    Sie nahm mich in die Arme und wartete, bis ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte.
    »Ich habe dir immer gesagt, dass deine Mutter der leibhaftige Teufel ist, Samia. Wie hätte sie sonst diese Schandtat vollbringen können? Wenn wir jetzt die Polizei anrufen, könnte man deine Mutter noch abfangen, bevor sie ins Flugzeug steigt.«
    Ich hielt sie davon ab. Das Verhalten meiner Familie war für die normale oder abendländische Welt unverständlich. Bei uns kann man im Namen des Guten einem Menschen die Kehle durchschneiden.
    Ich konnte nicht zulassen, dass Amina die Polizei anrief. Denn damit hätte ich mein eigenes Todesurteil unterschrieben.
    »Entscheidend ist nicht die Meinung deines Vaters, entscheidend ist, dass du deinen Sohn wiederbekommst und dass du mit ihm fliehen kannst. Die Polizei wird dir bestimmt Schutz gewähren!«
    »Wie lange würde sie mich schützen können? Ein Jahr, vielleicht sogar zwei. Und dann? Ich kann das nicht tun, glaub mir! Ich weiß, was ich sage. Ich bin unglücklich, das Bild meines Kindes verfolgt mich, aber ich kann nichts unternehmen. Und die Milch in meinen Brüsten schmerzt noch immer sehr.«
    »Ich verstehe nicht, warum du solche Angst vor deiner Familie hast. Ich begreife auch nicht, wie sie es geschafft hat, dich mit sechzehn Jahren gegen deinen Willen zu verheiraten, und wie sie dir jetzt so einfach dein Baby wegnehmen kann. Wir leben am Ende der siebziger Jahre, Samia, nicht am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts! Außerdem bist du in Frankreich, und hier hast du das Recht, nein zu sagen. Du bist nicht mehr in Algerien. In Frankreich haben alle Menschen gleiche Rechte, ob Mann oder Frau.«
    »Du verstehst mich nicht. Meine Familie bleibt die gleiche, ob sie nun in Algerien oder in Frankreich lebt. Als Elternbehalten sie ihre Macht über mich, vor allem weil sie mit meinem Ehemann unter einer Decke stecken!«
    »Ich begreife einfach nicht, warum du alles tust, was sie dir vorschreiben. Du bist jetzt fast siebzehn Jahre alt, und außerdem bist du Mutter. Ich würde niemals irgendjemandem gestatten, an meiner Stelle zu entscheiden, nicht einmal meinem Mann, den ich sehr liebe.«
    »Ich beneide dich darum, dass du deinen Ehemann lieben kannst. Und ich würde gerne so über mein Leben bestimmen wie du!«
    »Das hängt nur von dir ab, Samia! Du kannst dein Leben nach deinem Willen führen und es mit dem Mann teilen, den du dir aussuchst. Sieh dich einmal an! Du bist hübsch und liebenswert. Du besitzt alle Eigenschaften, die ein Mann bei einer Frau sucht.«
    »Manchmal zweifle ich wirklich an mir, weißt du. Mein Ehemann sagt mir ständig, dass ich das hässlichste Mädchen sei, das ihm jemals begegnet ist. An mir sei nichts, was einen Mann anzieht. Seiner Meinung nach kann ich mich glücklich schätzen, ihn an meiner Seite zu haben, weil kein anderer Mann mich genommen hätte.«
    »Er ist bloß eifersüchtig und demütigt dich, denn er will nicht, dass dich andere Männer ansehen. Und da du kein Selbstbewusstsein hast, unterwirfst du dich seinen Forderungen. Du bist sehr hübsch, und ich möchte, dass du dein Selbstvertrauen zurückgewinnst. Du solltest dir eine schöne Frisur machen lassen, dich ein wenig schminken und dich hübscher anziehen. Wenn du möchtest, bringe ich dich zu meinem Friseur und helfe dir, Kleider auszusuchen, die zu einer hübschen Frau wie dir passen.«
    »Ich glaube nicht, dass Abdel damit einverstanden ist, denn er entscheidet

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