Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
würdigte ich ihn keiner Antwort.
Darauf ließ er mich stehen, und ich musste meine Taschen eine nach der anderen allein hineintragen.
Ich nannte meine Tochter Norah, was im Arabischen Licht bedeutet. In all den Jahren war meine Tochter immer das Licht, das meine Entscheidungen so klar machte und mir den richtigen Weg wies – und das ist sie auch heute noch.
Meine kleine Norah wuchs heran. Ich war stolz auf ihre Lebhaftigkeit, ihre Schönheit, ihre Intelligenz, ihre Güte und noch vieles mehr. Sie war alles für mich. Sie war meine Freude und auch der erste Triumph, den das Leben mir zugestanden hatte. Sie verkörperte meine Hoffnungen und bot mir einen Hort des Friedens. Ich tat alles, um sie nicht den Launen ihres Vaters auszusetzen. Soweit es möglich war, sorgte ich dafür, dass sie nichts von den Übergriffen auf mich mitbekam: Ich ertrug sie schweigend.
Aber es kam, wenn auch selten, vor, dass sie Zeugin seiner Brutalität wurde. Ich denke da an einen Abend, als Abdel nach einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause kam. Er wirkte äußerst angespannt. Norah spielte vor dem Fernseher, während ich eine Sauce in der Küche zubereitete. Ich hielt gerade ein Wasserglas in der Hand, als er mich ohne jede Vorwarnung zu Boden schleuderte. Das Glas zerbrach, und ein Splitter bohrte sich in meine Hand. Ich schrie vor Schmerzen, doch er nahm mich mit Gewalt. Die Kleine sah weinend zu und flehte ihren Vater an aufzustehen, denn ihre Mama sei doch voller Blut. Er prügelte weiter auf mich ein. Ich barg mein Gesicht in den Händen, um es vor den Schlägen zu schützen, und sah nichts mehr. Nur die verzweifelten Schreie meiner Tochter drangen zu mir.
Ich habe stets alles versucht, um meinen Kindern den Anblick einer von ihrem Vater geschlagenen und vergewaltigten Frau zu ersparen, aber wenn Abdel die Wut packte, vergaß er alles um sich herum. Auch seine Kinder. Jedes Mal, wenn er so ohne Hemmung zuschlug, dachte ich, ich würde sterben! Auch wenn er sich dann wieder beruhigt hatte, zeigte er nicht ein einziges Mal so etwas wie Mitgefühl oder Gewissensbisse. Er fühlte sich einfach besser, wenn er sich an mir abreagiert hatte. Ich war das Ventil für seine Wut.
Er weigerte sich, mich mit der verletzten Hand ins Krankenhaus zu begleiten. Offenbar fürchtete er sich vor derReaktion des Arztes. So versorgte ich mich selbst und versuchte einen möglichst straffen Verband um meine Hand zu wickeln.
Es stürzte mich in große Besorgnis, dass unsere Toch ter diese furchtbare Szene miterlebt hatte. Sie hatte mein Blut fließen sehen, dabei hatte sie schon damals Angst vor Blut. In der darauf folgenden Nacht blieb ich bei ihr, denn sie schlief sehr unruhig. Mein Ehemann warf mir vor, ich suche nur nach einer Ausrede, nicht bei ihm schlafen zu müssen.
Ich versuchte sein Verhalten und seine Ansichten irgendwie zu verstehen, aber es gelang mir nicht. Er war auf Sex, auf Sex und nichts anderes fixiert. Ohne Ansehen der Person.
In den folgenden Jahren lebte ich nur für meine Tochter. Die Übergriffe gegen mich nahmen kein Ende. Immer wenn ich mich mit Selbstmordgedanken trug, was mehr als einmal der Fall war, stand mir das Bild meiner Tochter vor Augen und hielt mich am Leben. Was würde aus ihr werden, wenn ich nicht mehr da war? Sie war ein Mädchen wie ich und würde an meiner Stelle zum Sündenbock all dieser Peiniger werden.
Ich verließ das Haus nur noch, um mit Norah in den Garten zu gehen. Als sie in die Schule kam, begleitete ich sie auf dem Hin- und Rückweg. Bei diesen täglichen Spaziergängen hatte ich die Gelegenheit, mich mit anderen Frauen anzufreunden, die mir völlig neue Horizonte eröffneten.
Ich schminkte mich ein kleines bisschen und frisierte sorgfältig meine Haare, sodass mir selbst wohler zumute war. Diese Veränderung fiel auch Abdel auf.
Als ich eines Morgens ganz frisch aus dem Bad kam, musterte er mich eingehend.
»Für wen machst du dich so schön? Wer ist es? Sollte ich dich jemals mit ihm sehen, dann schneide ich dir vor aller Welt die Kehle durch wie einem Schaf, auch wenn ich denRest meines Lebens im Gefängnis verbringen muss. Aber nein, ich habe eine bessere Idee: Ich verrate deinem Vater und deinen Brüdern deinen Lebenswandel, dann nehmen sie mir die Arbeit ab. Sie werden dir vor meinen Augen die Kehle durchschneiden, und du wirst dich gerade noch von deinen Kindern verabschieden können.«
Der Schreck fuhr mir durch alle Glieder, sodass ich mich kaum noch rühren konnte. Aber ich
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