Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
fünf Jahre dort unten bin ich nicht zur Ruhe gekommen und habe ständig in großer Anspannung gelebt.«
»Haben Sie schon Kinder?«
»Das hier ist mein sechstes«, antwortete ich stolz.
»Wo sind die anderen jetzt?«
»Das ist eine lange Geschichte. Vier sind bei meinem Mann, und der Älteste ist bei seiner Großmutter aufgewachsen.«
Die Krankenschwester wirkte höchst verblüfft, dabei war dies ja erst der Anfang meiner Geschichte. Ich nahm mir ein Herz und fragte:
»Muss ich wieder gehen, wenn ich keine Versicherung habe?«
»Nein, da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Sie werden hierbleiben, denn Sie sind zu schwach, und Ihr Hämoglobinwert ist sehr niedrig. Sie könnten an der nächsten Ecke ohnmächtig werden. Während wir auf die Ergebnisse der Untersuchungen warten, wird der Sozialdienst Sie beraten und Ihnen helfen, eine Lösung zu finden.«
Ich fühlte mich gut aufgehoben. Das Gefühl von Freiheit und Vertrauen, das mich hier erfüllte, hätte ich nur allzu gerne mit meinen Kindern geteilt. Obwohl ich von Fremdenumgeben war, empfand ich keine Angst, wie sie mich dort unten ständig gequält hatte. Ohne jede Sorge gab ich meine Einwilligung für die Anästhesie und den Kaiserschnitt.
Die Mitarbeiterin des Sozialdienstes war eine zarte Frau mittleren Alters, die sich auf einen Stock stützte. Mein ganzes Leben werde ich mich an diese Frau erinnern. Sie wirkte so zerbrechlich – vielleicht beeindruckte mich ihre Freundlichkeit und Zielstrebigkeit deshalb umso mehr. Sie kam sofort zur Sache.
»Wann haben Sie Frankreich verlassen, Samia?«
»Vor fünf Jahren, Madame.«
»Also haben Sie seit fünf Jahren keinen Wohnsitz mehr hier. Ich weiß noch nicht, wie wir weiter vorgehen werden, aber ich werde eine Lösung finden. Ich werde eine Versicherung für Sie finden. Außerdem hat der Arzt verboten, dass Sie das Krankenhaus verlassen. Da haben Sie Glück!«
Über ihre Lesebrille hinweg warf mir diese beeindruckende kleine Frau einen verschmitzten Blick zu. Reine Lebensfreude strahlte mir aus ihren Augen entgegen.
Als ich endlich allein in meinem Zimmer war, dachte ich an die Meinen. So ließ ich sie an meiner Niederkunft teilhaben.
Die Kontraktionen nahmen jetzt wieder zu. Ganz professionell unterrichtete mich die Krankenschwester über den Ablauf der bevorstehenden Geburt.
»Da Sie zu schwach für eine Vollnarkose sind, werden wir Ihnen eine Periduralanästhesie legen.«
Diese Entscheidung war mir die allerliebste.
Was für ein Gegensatz zu meiner letzten Niederkunft! Ich war während der ganzen Operation bei Bewusstsein und konnte die Geburt meines Babys genau verfolgen! Welch unbeschreibliches Glück!
Es war alles so einfach. Ich wurde nicht betäubt, und Schmerzen hatte ich auch nicht.
Was für ein schöner kleiner Junge es war! Schon wenige Sekunden nach seiner Geburt hielt ich ihn in meinen Armen.
In diesem Augenblick erschien die Dame vom Sozialdienst und übergab mir eine Tasche mit Kleidung und Spielzeug. Ich hatte geglaubt, dass mir vor der Geburt noch genügend Zeit bleiben würde, um all das zu kaufen … Doch das Leben hatte anders entschieden.
Es fehlte mir an nichts, doch meine Kinder vermisste ich sehr. Man behandelte mich wie eine Königin und mein Baby wie einen kleinen Prinzen. Außerdem war es der Dame vom Sozialdienst gelungen, mir eine sechs Monate gültige Krankenversicherung zu besorgen.
Zwei Wochen blieb ich im Krankenhaus. Durch die Ruhe und aufmerksame Pflege des Personals war ich wieder zu Kräften gekommen und hatte sogar ein paar Kilo zugenommen. Ich fühlte meine Lebensgeister wieder erwachen.
Als ich meinen Koffer packte, befiel mich eine leichte Wehmut, diese angenehme Atmosphäre und Fürsorge hinter mir zu lassen. Doch gleichzeitig konnte ich es kaum erwarten, meine Kinder wiederzusehen. Sie fehlten mir so sehr. So verließ ich die Klinik mit dem Versprechen, bald mit meinen Angehörigen wiederzukommen.
Das Personal wünschte mir viel Glück. Ich umarmte die Dame vom Sozialdienst und dankte ihr herzlich dafür, dass sie mir so glückliche Tage beschert hatte. Meinen Sohn betteten die Schwestern in eine Babytrage, dann wurde ich mit dem Krankenwagen zum Flughafen gefahren. Man verwöhnte mich wirklich sehr.
Der Rückflug verlief reibungslos, und das Personal war sehr aufmerksam. Als die Maschine landete, fühlte ich, wie ich mich wieder verkrampfte. Die gespannte Atmosphäre, die in Algier herrschte, verscheuchte mein französisches Wohlbefinden.
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