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Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur

Titel: Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samia Shariff
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zum fünften Mal schwanger wurde. Trotz der bekannten Anzeichen fiel es mir sehr schwer, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Erst vergoss ich viele Tränen, dann zog ich mich in mich selbst zurück. Ich wollte nicht mehr mit Hussein reden, dem ich die Schuld an meinem Zustand gab. Nachdem ich ihm Vorwürfe gemacht hatte, kehrte sich meine Wut gegen mich selbst: »Hätte ich doch bloß aufgepasst … hätte … hätte …« Diese Selbstanklagen ließenmich in ein tiefes Loch fallen, und meine schlechte Stimmung wirkte sich auch auf die Kinder aus.
    Nachdem Norah viel geweint hatte, kapselte sie sich zunehmend ab. Obwohl sie ihre kleinen Brüder heiß und innig liebte, sprach sie jetzt kaum noch mit ihnen.
    Tiefe Verdrossenheit überschattete unser Zusammenleben. Jeden Morgen musste ich mich ernsthaft zusammenreißen, um den Tag anzugehen. In dieser gedämpften Stimmung verstrichen die Monate meiner Schwangerschaft. Außer Hussein verließ nur noch Melissa das Haus, um in die Schule zu gehen.
    Nun war ich im neunten Monat, doch mein Bauch war viel kleiner als bei den vorherigen Schwangerschaften. Dennoch hatte der Arzt mir versichert, dass die Größe des Kindes ganz normal sei!
    Ich wollte das Kind nicht in Algier zur Welt bringen, vor allem da man hier abermals einen Kaiserschnitt durchführen würde. Auf keinen Fall wollte ich den Albtraum meiner letzten Niederkunft noch einmal durchleben. Deshalb hatten Hussein und ich beschlossen, dass ich das Kind in Frankreich bekommen sollte. Ich würde allein fliegen und mit meinem Baby zurückkehren. In dieser Zeit würde Hussein Urlaub nehmen und bei den Kindern bleiben.
    Am Tag der Abreise, die wir ein paar Wochen vor den errechneten Geburtstermin gelegt hatten, fühlte ich mich sehr schwach. Was war, wenn die Geburt zu früh einsetzte? Das durfte auf keinen Fall geschehen, und schon gar nicht im Flugzeug! Ich zog ein besonders weites Kleid an und teilte dem Flugpersonal mit, dass ich im fünften Monat sei. Als ich endlich auf meinem Platz saß, schwor ich mir, dass ich eines Tages mit all meinen Kindern nach Frankreich fliegen würde!
    Nach diesen Träumen von einem fernen Glück wandte ich mich sehr viel naheliegenderen Überlegungen zu. Wohin sollte ich in Frankreich gehen? Ich hatte dieses Land vor Jahren verlassen, und auf meine Verwandten dort konnte ich nicht mehr zählen. Es blieben nur meine Freundinnen, deren aktuelle Adressen ich jedoch nicht mehr hatte, da ich seit Jahr und Tag keinen Kontakt mehr zu ihnen hatte pflegen können.
    Ein weiteres Problem bestand darin, dass ich in Frankreich nicht krankenversichert war. Wie sollte ich mich also ins Krankenhaus begeben und die Kosten begleichen? Ich hatte nur wenige Francs in der Tasche.
    Erst jetzt wurde mir klar, wie unüberlegt ich handelte! Planlos hatte ich mich ins Ungewisse gestürzt: Ich besaß weder finanzielle Mittel, noch konnte ich auf die Unterstützung von Freunden zählen! Die fixe Idee, vor den Krankenhäusern in Algier zu fliehen, hatte mich blind gemacht. Ich hatte mir eingebildet, dass Frankreich mich mit offenen Armen empfangen und ein warmes, weiches Nest für mich bereithalten würde. In dieser Annahme hatte ich jede Vorsicht über Bord geworfen. Was konnte ich jetzt noch unternehmen?
    Als das Flugzeug zur Landung ansetzte, bekam ich so heftige Kontraktionen, dass man mich sofort mit dem Krankenwagen in eine Klinik fuhr. Die erste Frage in der Notaufnahme lautete genau so, wie ich es befürchtet hatte:
    »Haben Sie Ihre Versicherungskarte dabei, Madame?«
    »Ich habe schon seit Jahren keine mehr«, antwortete ich aufrichtig.
    »Keine Karte? Aber während Ihrer Schwangerschaft waren Sie doch sicherlich in ärztlicher Behandlung, nicht wahr?«, fragte mich die Krankenschwester mit verständnislosem Blick.
    »Ja, ich war in Algerien einmal beim Arzt. Ich habe Frankreich vor fünf Jahren verlassen.«
    »Warten Sie. Ich bin gleich wieder da.«
    Die Leute um mich herum gingen ruhig ihrer Arbeit nach und lächelten mir immer wieder zu. Wie friedlich das Leben hier wirkte!
    Ein paar Minuten später kam die Krankenschwester mit einem Arzt zurück, der mich untersuchte und dann wieder fortging. Die Krankenschwester vervollständigte die Angaben zu meiner Person.
    »Sie haben während Ihrer Schwangerschaft nicht genug zugenommen und wirken sehr geschwächt. Haben Sie genug zu essen gehabt? Was für ein Leben haben Sie in Algerien geführt?«
    »Ich habe immer genug zu essen gehabt, aber während der letzten

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