Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
Ernste, von Sorgen zerfurchte Gesichter blicktenmir hier in Algerien entgegen. Es fiel mir schwer, wieder den Schleier zu tragen.
Zum Glück wartete mein Mann bereits auf mich. Kaum hatte er uns erblickt, eilte er voller Stolz auf uns zu und schloss seinen Sohn in die Arme.
»Guten Tag, Zacharias! Du bist ja der Schönste von allen!«
Hussein wirkte distanzierter als sonst. Sein Kuss glich lediglich einem leisen Hauch, der über meine Stirn strich.
Auf der Fahrt vom Flughafen nach Hause bewunderte ich die herrliche Landschaft meiner Heimat. Das Leben hätte hier so angenehm sein können, aber die Einwohner selbst hatten es beinahe unerträglich gemacht. Es war ihnen gelungen, Angst, Hass und Verwirrung in unseren Herzen zu säen.
Wer die vorherrschende Ideologie nicht teilte und die Möglichkeit zur Emigration hatte, verließ das Land. Wer dies nicht konnte, versuchte irgendwie zu überleben.
Ich konnte es kaum erwarten, meine Kinder wiederzusehen und mit meinen Töchtern über Frankreich und die wundervollen Menschen zu sprechen, denen ich dort begegnet war.
Melissa sah mich als Erste. Sie rief die anderen und stürzte dann in meine Arme.
»Mama, du hast mir so gefehlt. Wir dürfen uns nie wieder trennen. Es kam mir furchtbar lang vor!«
»Ab jetzt bleiben wir immer zusammen! Wie geht es euch denn?«
»Gut. Nur hört das blöde Telefon nicht auf zu klingeln! Sonst ist alles in Ordnung!«
Melissa war hellauf begeistert von ihrem neuen Bruder:
»Er ist so schön! Seine großen Augen sind einfach toll!«
Während sie das Baby mit Beschlag belegte, ging ich zu den anderen. Norah wartete mit den Zwillingen an der Haustür.
Ich schloss alle nacheinander in die Arme. Nichts in der Welt wiegt das Glück auf, mit den eigenen Kindern zusammen zu sein. Meine Familie war immer mein größter Schatz, und das ist sie auch heute noch!
Über der Wiedersehensfreude vergaß ich für ein paar Stunden sogar all die Schwierigkeiten, denen wir uns in diesem Land ausgesetzt sahen.
An diesem Abend sprachen mein Mann, Norah und ich ernsthaft über die Möglichkeit, nach Frankreich zurückzukehren.
Für Hussein kam es nicht infrage, das Land zu verlassen, dem er sich so sehr verbunden fühlte und dem er als Soldat gerne dienen wollte. Da er aber selbst miterlebt hatte, wie man uns behandelte, versprach er, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um uns bei der Ausreise zu helfen. Das größte Hindernis bestand darin, dass Melissa erst zwölf und damit minderjährig war. Daher benötigte sie für die Ausreise die Genehmigung ihres Vaters. Mit neunzehn wird ein Mädchen in Algerien volljährig, und wenn es dann noch nicht verheiratet ist, darf es das Land ohne väterliche Erlaubnis verlassen. Norah konnte also gehen, Melissa jedoch nicht.
Da uns keine Lösung einfiel, schoben wir unser Vorhaben erneut auf die lange Bank. Wieder stellte sich der Alltag ein, und Monate vergingen.
Eines Tages verkündete Norah, dass sie mit Hilfe unserer Nachbarin eine Stelle als Zimmermädchen in einem Luxushotel am Rande von Algier gefunden hatte. Ich freute mich für sie, machte mir aber zugleich Sorgen, da sie manchmal auch abends arbeiten musste. Selbst wenn sie auf dem Hin- und Rückweg gefahren wurde – die Straßen waren sehr unsicher!
Aber ich konnte meine Tochter nicht länger daheim festhalten. Sie hatte mir so sehr bei der Hausarbeit geholfen und sich um ihre kleinen Brüder gekümmert, dass sie endlich ihr eigenes Leben leben oder sich zumindest darauf vorbereiten musste! Ich ermutigte sie, die Arbeit anzunehmen, obwohlich wusste, dass mir dies viele angsterfüllte, schlaflose Stunden bereiten würde.
Ich fürchtete, sie könnte in eine Straßensperre der Terroristen geraten, die sich als Soldaten verkleideten und die Autos anhielten. Dann töteten sie die Fahrer und entführten die jungen Mädchen.
Jeden Abend wartete ich nun voller Angst auf die Rückkehr meiner ältesten Tochter. War sie unversehrt eingetroffen, dankte ich Gott und hörte gespannt zu, was sie von ihrem Tag berichtete. Endlich konnte sie sich ein wenig aus dem Kokon der Familie befreien. Ihre Lebensfreude kehrte zurück.
Ich war mit der Sorge um meine Kinder beschäftigt und verließ das Haus überhaupt nicht mehr. Eines Abends, als ich wieder einmal auf Norah wartete, kam Hussein nach Hause. Ein Frauenduft hing in seinen Kleidern, und an seinem Hemdkragen entdeckte ich Spuren von Lippenstift. Ich machte ihm eine furchtbare Szene. Jetzt begriff ich, warum er
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