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Der Schlittenmacher

Der Schlittenmacher

Titel: Der Schlittenmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Norman
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Pullman. Ich konnte ihnen mitteilen, dass ich das Haus selbst brauchte, und wieder dort einziehen.
    Meine Gedanken schweiften von einem zum anderen, ohne irgendwo anzukommen. Am Ende war ich froh, etwas Eintopf vom Abend zuvor übrig zu haben. Dieser französische Eintopf schmeckte aufgewärmt sogar noch intensiver. Fällt dir das auch auf, dass die Reste vom Vortag oft noch besser werden?

    Nach dem Essen – es war schon ganz dunkel draußen – schaltete ich das Licht auf der Veranda ein. Beim Geschirrabwaschen blickte ich aus dem Fenster und sah, wie das eiserne Vogelbad, das Tilda ihrer Mutter im Sommer 1940 geschenkt hatte, vom Regen überlief. Steven Parish hatte es wie ein Bildhauer angefertigt – die schwere Bodenplatte war mit tanzenden Engeln umrahmt. Der Regen wurde immer stärker. Ich legte eine Grammofonplatte aus einem Album mit Beethovens Sonaten für Cello und Klavier auf – der Sonate in A-Dur, der Sonate in C-Dur und der Sonate in D-Dur –, dann sank ich aufs Sofa. Ich hatte gehofft, Beethoven würde mich die Welt um mich herum vergessen lassen, aber nach kurzer Zeit verstärkte die Musik eher meine Unruhe, als dass sie sie linderte. Ich schaltete das Grammofon aus, nahm eine Kerosinlampe von einem Regal, zündete den Docht an und ging mit der Lampe in die Werkstatt hinüber.
    Drinnen zündete ich eine zweite Lampe an, stellte jede der beiden an ein Ende des Arbeitstisches und hatte damit ausreichend Licht. Ich begann mit dem Schlitten, den Mr. und Mrs. Kormiker schon lange bestellt hatten; sie stammten aus Island, lebten aber jetzt in Kopenhagen. Mr. Kormiker arbeitete bei einer Bank. Während eines Besuchs in Halifax hatten sie die Broschüre meines Onkels gesehen, wahrscheinlich in einem Hotel. Die Broschüre vermittelte einen sehr professionellen Eindruck – sie war aber auch nicht billig gewesen. Sie enthielt verschiedene Schlitten-Zeichnungen, angefertigt von Steven Parish, der auch die Zeichnungen für seine eigene Broschüre machte, in der er seine Eisenarbeiten anbot – Feuerzangen, Kandelaber, Ofenrohre und so weiter.
    Jetzt wirst du dich vielleicht fragen, Marlais, warum ich ausgerechnet mit diesem Schlitten angefangen habe.

    Es war deshalb dieser Schlitten, weil ich beim Durchsehen der Korrespondenz die Briefe las, die Mrs. Kormiker an Donald und Constance geschrieben hatte. Elf Briefe insgesamt, alle sehr herzlich und in ausgezeichnetem Englisch, auch wenn jeder nur etwa eine Dreiviertelseite Briefpapier füllte. In einem der Briefe schrieb Mrs. Kormiker: »Unsere Enkeltochter ist jetzt zwei Jahre alt. Wäre es möglich, dass Sie einen Schlitten bauen, den sie zu ihrem sechsten Geburtstag erhalten soll?« Der Brief datierte auf den 11. April 1941 – er war trotz des Krieges über den Atlantik gekommen. Was ich so bemerkenswert fand, war das offensichtliche Vertrauen darauf, dass Leute, die durch einen Ozean getrennt waren, ein Geschäft abschließen konnten, das so weit in die Zukunft reichte. Eine geschäftliche Vereinbarung war getroffen worden, und ich hatte eine Verpflichtung geerbt. Ich hatte ein so starkes Bedürfnis, irgendeine ehrliche Aufgabe zu erfüllen, und mochte es auch nur etwas ganz Alltägliches sein. Ich dachte mir, wenn die Enkeltochter 1941 zwei Jahre alt war, dann würde ich, wenn ich fleißig arbeitete, den Schlitten mit nicht allzu großer Verspätung liefern können.
    Mr. und Mrs. Kormiker wollten einen sogenannten »Dog Toboggan« mit Rückenlehne. Ich musste mich an Steven Parish wenden, damit er mir das dreieckige Verbindungsstück mit dem Griff schmiedete. Ich hatte befürchtet, dass er sich vielleicht weigern würde, mit mir zusammenzuarbeiten. Aber wie sich herausstellte, war er nur ein bisschen weniger freundlich als früher – und besonders freundlich war er ohnehin nie gewesen. Er sah sich meine grobe Skizze des Schlittens an und sagte: »Das geht in Ordnung. Allerdings mache ich es nur, weil Donald gesagt hat, dass Sie ihm kein schlechter Neffe waren, im Großen und Ganzen. Aber Sie zahlen im Voraus.« Zwei Tage später hatte ich das Verbindungsstück. Als ich hinfuhr, um mir
das Teil zu holen, sagte Parish: »Wenn Sie wieder etwas zu tun haben, Wyatt, dann bringen Sie’s mir einfach. Ich war übrigens schon fünf- oder sechsmal in Dorchester. Ziemlich trostloses Kittchen, was? Ich habe Donald voriges Jahr zu Weihnachten einen Kerzenhalter gemacht. Ich hab gar nicht gefragt, ob er überhaupt Kerzen dort haben darf. Na ja, jedenfalls kommt

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