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Der Schlittenmacher

Der Schlittenmacher

Titel: Der Schlittenmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Norman
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hatte.
    Ich fuhr zur Bäckerei. Es war ungefähr halb acht, und Cornelia
putzte gerade ihr Schaufenster. Sie hatte das Reinigungsmittel in dicken weißen Spiralen aufgetragen, sodass es nur wenige freie Stellen gab, wo man durch die Scheibe ins Innere schauen konnte. Cornelia stand als schattenhafte Gestalt auf der Trittleiter und wischte mit ihrem Schwamm mit schwungvollen Bewegungen über die Scheibe. Ich wartete draußen, während sie sich streckte und sich dann nach unten vorarbeitete, bis sie zu einer Stelle kam, von der aus sie einen Blick auf die Straße hatte und mich schließlich erkannte. Sie lächelte und hob den Schwamm an den Mund, offenbar eine Aufforderung, hereinzukommen und eine Tasse Kaffee oder Tee zu trinken. Ich trat ein, setzte mich an einen Ecktisch und sah zu, wie sie das Fenster fertig machte. Dann trat sie einen Schritt zurück und begutachtete ihre Arbeit. »So«, sagte sie, »jetzt kann ich diesen schönen Junitag so sehen, als wär ich draußen, nicht wahr, Wyatt, mein verlorener Freund.«
    »Gute Arbeit, Cornelia«, sagte ich.
    »Das einzige Problem mit einem so sauberen Fenster ist, dass hin und wieder eine Amsel oder ein Spatz gegen die Scheibe kracht, er fliegt sorglos vor sich hin, und im nächsten Moment ist es vorbei für ihn. Hattest du ein Fenster in Rockhead?«
    »Die Gefängnisbibliothek hatte zwei.«
    »Nun, du kannst jederzeit hierherkommen und aus diesem Fenster schauen, wenn du magst. Zu den Öffnungszeiten, versteht sich.«
    »Das hört sich gut an, wirklich.«
    »Mit wem hast du denn schon gesprochen in Middle Economy? Tilda, nehme ich an.«
    »Nur mit dir und Tilda.«
    Cornelia schlüpfte aus ihren Gummihandschuhen, warf sie in die Spüle und brachte mir eine Tasse Kaffee an meinen Tisch.
»Hast du schon irgendwelche Pläne?«, fragte sie. »Außer deinen Kaffee hier zu trinken, meine ich.«
    »Ich werde erst einmal nachschauen, in welchem Zustand die Werkstatt ist. Das wird das Erste sein, denke ich. Es sieht wahrscheinlich nicht so rosig aus. Unser Auftragsbuch war ja voll, aber ich glaube, das kann ich jetzt alles abschreiben.«
    »Oh, ich hab ganz vergessen zu fragen – wie wär’s mit einem Scone? Ich bin ein bisschen aus der Übung mit dir.«
    »Preiselbeere?«
    »Drei sind noch da – willst du sie alle drei?«
    »Ja, bitte.«
    »Das Frühstück geht aufs Haus, aber sag’s niemandem.«
    »Von mir erfährt’s keiner.«
    »Du bist dünn wie ein Brett, ich werde ein bisschen Butter auf die Scones streichen.«
    Die Scones waren köstlich nach dem eintönigen Gefängnisessen. Am liebsten hätte ich auch noch in die Butter auf dem Teller gebissen, an der Scone-Krümel vom Streichmesser klebten. Das Beste war dieses saubere, klare Fenster. Und hier bei Cornelia zu sitzen war auch sehr schön. Doch dann sah sie auf ihre Uhr und sagte: »Wyatt, ich muss dich vorwarnen. Letzten Oktober ist Leonard Marquette gestürzt und hat sich die Hüfte gebrochen. Er musste wochenlang liegen. Er hat die Fischerei aufgegeben, der Arzt hat’s verboten, und jetzt sitzt er halbtags auf einem Gabelstapler in einem Lager in Truro. Angeblich ist er dort so ziemlich sein eigener Herr und kann wegen seiner Hüfte eine Pause einlegen, sooft er mag. Warum ich dir das alles erzähle – nun, Leonard schaut jeden Tag Punkt acht Uhr auf einen Kaffee und einen Heidelbeermuffin vorbei, er bleibt höchstens eine Viertelstunde, dann fährt er schon wieder, damit er nicht zu spät zu seiner Schicht kommt.«

    »Dann wird Leonard gleich da sein – und?«
    »Also, es könnte sein, dass Leonard nicht so gut auf dich zu sprechen ist, das will ich damit sagen. Es könnte sein, dass er ziemlich unfreundlich wird. Bei Leonard weiß man nie – seit sein Neffe in Frankreich gefallen ist.«
    »Philip Marquette?«
    »Ja, Philip – er hat auch in Dalhousie studiert, wie Hans Mohring. Er war der erste Marquette, der eine Universität besucht hat, und das ist eine große Familie. Aufgewachsen ist er in Pembroke, wo Leonards Schwester und sein Schwager immer noch leben. Als er älter wurde, war Philip oft bei mir in der Bäckerei. Mein lieber Mann, der Junge konnte Holz schnitzen, als wäre er nur dafür auf die Welt gekommen.«
    »Ich glaube, mein Onkel wollte ihn gern einstellen.«
    »Das stimmt. Aber Philip ging lieber an die Uni.«
    »Was hat er denn studiert?«
    »Meereswissenschaften heißt es, glaube ich. In Pembroke muss er siebzehn Jahre lang jeden Tag aufs Meer hinausgeschaut haben, dann wollte er eben

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