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Der Schlittenmacher

Der Schlittenmacher

Titel: Der Schlittenmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Norman
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Donald ganz gut zurecht.«
    Der Schlitten der Kormikers konnte zwar mit der Hand gezogen werden, aber eigentlich war er eher für ein Zugseil gemacht. Sie wollten außerdem eine Transportbox, die sich am Schlitten befestigen ließ und in der ihre Enkeltochter bequem sitzen konnte. Auch Decken und Jacken sollten noch darin Platz haben. Aus einem von Mrs. Kormikers Briefen erfuhr ich, dass sie und ihr Mann sich anhand von Skizzen von fünf verschiedenen Schlitten entschieden hatten, die mein Onkel ihnen geschickt hatte.
    Die nächsten drei Tage und Nächte war ich mit nichts anderem beschäftigt. Wenig Schlaf, kein Radio. Den aufgebogenen vorderen Teil hatte mein Onkel bereits ausgeführt, so musste ich nur noch die Querstücke schmirgeln und anbringen, die Rückenlehne hinter dem vorletzten Querstück befestigen und die Transportbox bauen. Dann kamen die Kufen und zuletzt der komplette Schellack-Anstrich.
    Nach drei Tagen war der Schlitten gegen sechs Uhr morgens fertig, aber ich hatte nicht einmal mehr meine Fingerspitzen gespürt, als ich den Schellack auftrug, weil sie vom stundenlangen Schmirgeln gefühllos waren. Für solche Fälle hatte mein Onkel mehrere Tiegel mit Heilsalbe in der Werkstatt. Die Salbe stammte aus Norwegen. Ich massierte sie in meine Fingerspitzen ein, aber auch das spürte ich nicht.
    Der Schlitten wog ungefähr 14 Kilo. Er sah recht ordentlich
aus. Ich stellte ihn auf zwei Sägeböcke, um das Holz ruhen zu lassen, und schaltete einen Ventilator ein, der den Schellack trocknen sollte. Ich erinnerte mich, dass mein Onkel immer, wenn wir einen Schlitten, einen Toboggan oder hin und wieder auch einen Pferdeschlitten fertig hatten, eine Whiskeyflasche hervorholte und uns beiden ein Gläschen einschenkte. Wir stießen darauf an, und er sagte: »Wieder einer geschafft, und wenn wir Glück haben, noch zehntausend vor uns.« Ich reinigte das Werkzeug, legte alles an seinen Platz zurück, räumte die Werkstatt auf und ging ins Haus, um mich zu waschen. Dann setzte ich mich ins Auto.
    Ich fuhr diesmal an der Bäckerei vorbei und weiter nach Parrsboro, und gerade als ich dachte, dass Tilda gleich auftauchen müsste, sah ich sie auch schon am Ende des Kais. Es hatte die ganze Nacht geregnet, und immer noch prasselte der Regen heftig aus dem Minas-Becken herein. Ein halbes Dutzend Trawler zerrten an ihren Leinen, es war richtig stürmisch, und dennoch stand Tilda da, mit einem Regenmantel, Jeans und Galoschen bekleidet, einen Fischerhut unter dem Kinn festgebunden. Was ich besonders bemerkenswert fand, war, dass drei Männer – ich erkannte Todd Branch und seine Nachbarn Ralph und Alvin Drakemore aus Upper Economy – ganz normal ihrer Arbeit nachgingen. Sie fuhren zwar nicht hinaus bei dem Wetter, doch sie machten sich auf ihrem Trawler zu schaffen, um das Boot gegen den Sturm zu sichern. Sie riefen sich unverständliche Dinge zu und achteten nicht auf Tilda – so kam es mir jedenfalls vor. Doch dann ging Todd Branch unter Deck und kam mit einer dampfenden Tasse Tee mit Melasse oder Kaffee oder Kakao oder was auch immer zurück und brachte sie Tilda. Er umschloss Tildas Hände, als sie das Getränk an die Lippen hob, so als würde er sich um jemanden kümmern, der
sich gerade von einer lebensgefährlichen Krankheit erholte. Die beiden anderen Männer blickten nicht einmal auf. Tilda nahm noch einen Schluck und nickte Todd Branch zu, dann wandte sie sich ab, um ihr vom Regen verwässertes Getränk zu schlürfen und mit Hans Mohring zu sprechen. Todd ging auf sein Boot zurück. Es schien für ihn eine Routineaufgabe gewesen zu sein, die er seit einiger Zeit zusätzlich erfüllte. An wie vielen Tagen hatte er Tilda schon etwas Heißes zu trinken gebracht?
    Als ich die Bäckerei betrat, stellte mir Cornelia sofort eine Tasse Kaffee und einen Preiselbeerscone hin, ohne dass ich etwas bestellt hatte. Sie setzte sich mir gegenüber an den Tisch beim Fenster. »Jetzt sieh dir das an«, sagte sie. »Der Wind hat mir den ganzen Dreck ans Fenster geblasen – und dabei war’s gerade so schön sauber.« Sie biss von ihrem Toast ab.
    »Ich habe Tilda draußen am Kai in Parrsboro gesehen.«
    »Ich hab mir schon gedacht, dass das dein Auto war, das hier vorbeifuhr.«
    »Sie stand dort, genau wie du’s gesagt hast.«
    »Ich habe sie vor drei Tagen dort gesehen – und weißt du, was?«, sagte Cornelia. »Ein paar Schuljungen haben ohne richtig zu zielen auf die Vögel geschossen, die gerade vorbeiflogen,

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