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Der Schlittenmacher

Der Schlittenmacher

Titel: Der Schlittenmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Norman
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hauptsächlich Kormorane. Und plötzlich schnappte sich Tilda das Gewehr und drückte selbst ein paarmal ab. Natürlich hat sie nichts getroffen außer dem Wasser, aber es war so ein komischer Anblick, dass ich mich gebogen hab vor Lachen. Ich war gerade auf dem Heimweg, nachdem ich bei Mrs. Gerard in Parrsboro eingemachte Preiselbeeren geholt hatte.«
    »Möglicherweise hat sie mich gesehen«, sagte ich. »Ich hoffe, sie denkt jetzt nicht, dass ich ihr nachspioniere oder so.«
    »Du warst halt neugierig. Das ist ziemlich menschlich – außerdem hat Constance Hillyer es mir erzählt.«

    »Was hat sie dir erzählt?«
    »Was du für Tilda empfindest«, antwortete Cornelia. »Sieh mal, Tilda ist noch keine drei Jahre Witwe, und ich schätze, es ist für sie genauso schwer wie für irgendeine andere Kriegswitwe, von denen es ja Tausende gibt, nicht? Weißt du, sie sitzt die halbe Nacht in der Bibliothek – Mrs. Oleander hat nichts dagegen. Alles, was sie sieht, sind die Räume über der Bäckerei, der Kai, die Bibliothek. Und ich glaube, Tilda weiß gar nicht mehr, was Schlaf ist. Ich höre oft, wie sie oben ihre Grammofonplatten spielt.«
    »Also, was ich für Tilda empfinde , wie du es ausdrückst – sie erwidert das nicht im Geringsten. Warum sollte sie auch? Ich habe ihren Mann im Meer versenkt – er möge in Frieden ruhen, und das meine ich so. Also, was ich empfinde, das wird sie kaum trösten, wenn du mir das damit sagen willst.«
    »Ich sage nur das, was ich gesagt habe, nicht mehr und nicht weniger.«
    »Sie muss Hans noch mehr geliebt haben, als ich dachte.«
    »Das lässt sich nicht leugnen. Sie hat mit Hans von Anfang an alles geteilt, bis hin zum Bett. Es ging alles so schnell – ich hab nur gestaunt.«
    »Darüber habe ich selbst Tag und Nacht nachgedacht. Im Gefängnis, meine ich. Und natürlich auch über andere Dinge.«
    Ich griff nach der Kaffeetasse, die Cornelia mir an den Tisch gebracht hatte, doch ich ließ sie fallen – sie zerbrach am Boden, und der Kaffee spritzte in alle Richtungen. »Du meine Güte«, sagte sie. »Bist du ein Trampeltier heute.«
    »Sorry. Ich habe die ganze Nacht an einem Schlitten gearbeitet. Vom Schmirgeln sind meine Finger völlig taub.«
    »Willst du noch eine Tasse?«
    »Nein, danke.«

    Ich sammelte die Scherben auf und warf sie in den Abfalleimer. Cornelia gab mir ein Sandwich, in eine Serviette gewickelt. »Es ist mit Heilbutt, Zwiebel, Tomate und Senf«, sagte sie. »Leg’s in die Speisekammer für später. Ich nehme an, dir macht keiner etwas zu essen.«
    »Danke. Ich bin nur gerade ein bisschen knapp bei Kasse.«
    »Seh ich aus wie ein Schuldeneintreiber, Wyatt?«
    »Nein, tust du nicht, Cornelia. Danke für das Sandwich.«
    »Tilda kommt jeden Moment zurück.«
    »Sie wird mich schon besuchen, wenn sie’s will. Ich glaube, das ist am besten so.«
    »Ich hoffe, du versuchst es mit dem Geschäft deines Onkels, Wyatt.«
    »Ich habe den Schlitten fertiggebaut, nicht wahr?«
    Zu Hause wusch ich ein wenig Wäsche im Waschbecken und hängte sie an eine Schnur, die ich in der Vorratskammer aufspannte. Darunter stellte ich drei Eimer für das Wasser, das heruntertropfte. Dann ging ich daran, eine Kiste zu skizzieren, in der ich den Schlitten zu den Kormikers nach Dänemark schicken würde. Unter einer Plane ganz hinten in der Werkstatt lag genug Sperrholz, das ich dafür verwenden konnte. Zwei Stunden später hatte ich die Kiste fertig. Als ich das Ergebnis begutachtete, dachte ich: Wenn ich ganz ehrlich bin, sieht das Ding aus wie ein langer Sarg . Der Gedanke war zwar nicht besonders originell, aber umso schmerzlicher. Und leider gehen die Gedanken dann oft noch einen Schritt weiter, statt einen in Frieden zu lassen: Als würde ich einen Sarg nach Dänemark schicken, mit einem Schlitten drin – während Hans nicht mal einen Sarg bekam .
    Es regnete und regnete, und der Himmel wurde immer dunkler, je länger der Tag dauerte. Es fühlte sich an, als hätte
das Minas-Becken es nicht mehr erwarten können und schon ein bisschen früher mit den gewohnten Sommerunwettern begonnen. Ich setzte Teewasser auf und hörte mir eine Grammofonplatte nach der anderen an; das war etwas, von dem ich im Gefängnis geträumt hatte. Einmal fragte ich einen Wärter, einen Mr. DeForge: »Wen mögen Sie mehr – Beethoven oder Chopin, oder vielleicht Vivaldi?«
    »Ich hol dich persönlich aus deiner Zelle raus und stopf dich in dein eigenes Arschloch, wenn du mich noch mal so was

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