Der Schlittenmacher
mehr darüber erfahren, was er da genau gesehen hat. Das klingt irgendwie schön und einleuchtend, nicht wahr?«
»Ich weiß noch, dass er Bowlingkegel geschnitzt hat«, sagte ich.
»Ja, das ist eine nette Geschichte. Als er zehn war, hat er die kleineren Kegel gemacht, diese Duckpins, für eine Bowlingbahn bei Shediac Bridge – kurioserweise kreuzten dort die Bowlingbahnen die Grenzlinie zu New Brunswick. Natürlich kann man sagen, dass das ziemlich egal ist, ich meine, wer schmuggelt schon Bowlingkugeln über die Grenze? Damals waren Duckpin-Bahnen nicht mehr so beliebt, aber die bei Shediac Bridge muss sehr gut gegangen sein, weil Philip Marquette
nämlich eine hübsche Summe für die fünfzig Kegel bekam, die er schnitzte. Seine Eltern haben das Geld weggelegt. Wer weiß, vielleicht hat er später damit Bücher für sein Studium gekauft.«
»Willst du damit sagen, ich soll Philip nicht erwähnen, weil es zu schmerzvoll wäre?«
»Nein, das ist es nicht, Wyatt. Leonard grübelt halt immer noch viel nach über das, was damals passiert ist, dass ihr sein Boot genommen habt, Donald und du.«
»Aber ich habe nicht gewusst, dass wir Leonards Boot nehmen würden.«
»Das ist den meisten Leuten auch völlig klar.«
Und wirklich, um acht Uhr – vielleicht eine Minute früher oder später – parkte Leonard seinen klapprigen dunkelgrünen Wagen vor der Bäckerei. Er muss mich gesehen haben durch das frisch geputzte Fenster. Leonard kam jedenfalls herein und ging zur Theke. Cornelia stellte ihm einen Heidelbeermuffin und eine Tasse Kaffee auf den Tisch vor der Theke. Aber Leonard blieb stehen. Er griff nach der Tasse und nahm einen Schluck Kaffee. »Wyatt, die Zeit in Rockhead muss dir wie eine Ewigkeit vorgekommen sein«, sagte er. »Für meinen Geschmack ist sie viel zu schnell vergangen.«
»Es tut mir leid, was ich über Philip gehört habe«, sagte ich.
Leonard sah Cornelia an. »Wie ich dich kenne, Cornelia, hast du Wyatt Hillyer diese Scones gratis gegeben. Als Willkommensgeschenk, so wie ich dich kenne.«
»Geht dich nichts an, Leonard«, erwiderte sie.
Leonard schlang den Muffin in wenigen Bissen hinunter, nahm seine Kaffeetasse und setzte sich an einen Tisch. »Wyatt, ist dir aufgefallen, dass ich jetzt hinke?«, fragte er mich. »Ich bin auf dem Deck meines Boots ausgerutscht und hab mir die Hüfte gebrochen. Ich kriege Tabletten gegen die Schmerzen.
Die nächste schlucke ich gleich jetzt hier vor euch.« Er griff in seine Jackentasche, zog ein Glasfläschchen heraus, öffnete es und schüttelte eine Tablette auf den Tisch. Er legte sie sich auf die Zunge und ließ den Mund ein paar Sekunden offen, damit wir die Tablette auch ja gut sahen, bevor er sie endlich schluckte und laut schlürfend mit Kaffee hinunterspülte. »Ich brauche frühmorgens eine ganze Minute, um aus dem Bett zu kommen, und noch viel länger, um in meinen Wagen zu steigen.«
»Das ist doch gar nichts, Leonard«, erwiderte Cornelia. »Ich brauche drei Minuten, um aus dem Bett zu kommen, und ich hab mir noch nie die Hüfte gebrochen.«
Leonard runzelte missbilligend die Stirn. »Ich bin auch nicht einfach so in meinem Boot ausgerutscht. Ich bin auf unsichtbarem Blut ausgerutscht. Du findest das wohl weit hergeholt, Wyatt? Nun, du bist ja auch nicht drauf ausgerutscht – woher solltest du’s also wissen?«
»Leonard, bitte zahle und geh dann«, sagte Cornelia.
»Ich war draußen auf meinem Boot«, sprach Leonard weiter. »Es war ein klarer Tag. Praktisch keine Wellen. Die Ruhe zwischen zwei Stürmen. Das Deck trocken wie Papier. Und doch bin ich ausgerutscht. Also, nicht mal ein Hypnotiseur, der fünfundzwanzig Dollar für die Sitzung verlangt, könnte mir ausreden, dass auf meinem Boot unheimliche Dinge vor sich gehen. Nein, Sir, das Blut dieses deutschen Jungen war da, ich konnte es bloß nicht sehen. Und schon lag ich da. Gott sei Dank war Tom Ekhert an diesem Tag mit mir draußen, sonst hätte ich meine erste und letzte Schwimmstunde gehabt. Er hat mich gerade noch erwischt.«
»Ich hoffe, der Gabelstapler bricht dir dann die andere Hüfte, Leonard«, versetzte Cornelia.
»Hat mich auch gefreut, dich zu sehen, Cornelia. Und der
Muffin schmeckte gut wie immer«, sagte Leonard und legte etwas Geld auf die Theke. »Ich bin ein zahlender Kunde.«
Als Leonard weg war, setzte sich Cornelia zu mir, und wir tranken Kaffee, ohne zu reden, genossen für einige Minuten nur den neuen Tag durch ihr sauberes Fenster.
»Na, wie
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