Der Schlittenmacher
Mord passierte«. Oder irgendetwas in dieser Art.
»Also, ich hab wirklich genug von solchen Fragen«, meinte Cornelia. »Meine Reaktion ist: Ich gebe ihnen etwas zu essen, lass sie bezahlen und erzähle ihnen nichts. Wenn das funktioniert – schön. Aber wenn sie nichts essen wollen, dann sag ich ihnen, dass die Leute hier eben keinen großen Zirkus veranstalten. « Eines Morgens, im August 1946, glaube ich, kam ich gerade in die Bäckerei, als ein Paar im mittleren Alter wegging – Cornelia sagte, dass die zwei aus Halifax waren. Sie machten ziemlich unfreundliche Gesichter, zweifellos weil sie es mit einer nicht sehr freundlichen Cornelia zu tun bekommen hatten. Als ich mich an einen Tisch setzte, sagte Cornelia: »Ich wette, in Halifax würde eine Besichtigungstour der Häuser, in denen Morde passiert sind, länger dauern als die fünf Minuten, die man hier in unserem kleinen Dorf dafür braucht, meinst du nicht auch?«
»Die Wette gewinnst du, Cornelia«, antwortete ich.
»Nebenbei bemerkt haben sich der Mann und die Frau, die gerade gegangen sind, nur einen Scone geteilt, nicht mehr. Weißt du, was ich ihnen gratis dazu angeboten habe?«
»Nein, was?«
»Dass ich ihnen zeige, wo die Tür ist.«
Du wirst dich vielleicht fragen, Marlais, wie es überhaupt zu dem Besuch von Marcus und Uli Mohring in Middle Economy gekommen ist. Im Mai 1947 hatte Tilda einen Brief von
Uli Mohring bekommen, in dem sie schrieb: »Mein Mann und ich würden gern die Dalhousie University sehen, wo Hans so glücklich war, und auch Middle Economy.« Tilda schrieb prompt zurück. Als ein zweiter Brief kam, in dem sie schrieben, wann sie eintreffen würden, erzählte Tilda das Reverend Witt, der im Verbreiten von Neuigkeiten genauso gut war wie das Radio.
Der Besuch von Mr. und Mrs. Mohring fiel auf ein Wochenende. Sie gingen in die Kirche. Reverend Witt begrüßte sie von der Kanzel aus, erwähnte aber in seiner Predigt nicht ihren Sohn. Das war auch nicht nötig, denn er wusste, dass alle an Hans’ Ermordung dachten, egal welches Thema die Predigt hatte. »Dass sie da in der Kirche saßen, das war schon etwas Besonderes«, berichtete Mrs. Oleander Cornelia Tell am nächsten Morgen in der Bäckerei. »Und ich saß direkt neben Mrs. Uli Mohring, in der dritten Reihe. Das werde ich wahrscheinlich nie vergessen.«
In der Küche über der Bäckerei erzählte mir Tilda an diesem Sonntagnachmittag, dem 17. Oktober, dass Uli und Marcus Mohring allgemein einen sehr netten Eindruck hinterlassen hatten. »Sie machen gerade ein Nickerchen«, sagte sie. »Mrs. Mohring ist neunundfünfzig, und Mr. Mohring dreiundsechzig. Sie sprechen mit einem viel stärkeren Akzent als Hans. Nach der Predigt und dem Singen blieben sie noch eine Weile sitzen, zusammen mit ungefähr zwanzig Leuten, vielleicht auch mehr. Sie haben sich sogar entschuldigt – kannst du dir das vorstellen? –, falls sie mit ihrem Besuch irgendjemandem Unannehmlichkeiten bereiten sollten. Und dann haben sie noch gesagt: ›Die Reise hierher war nicht einfach. Wir sind dritter Klasse auf einem Dampfer gekommen. Aber wir wollten unbedingt sehen, wo unser Sohn seine letzten Tage verbracht hat.
Wir wollten euch gern sagen, was für ein guter Junge er war. Er war ein guter, fleißiger Student. Wir haben einen Brief von Hans bekommen. Es hat lange gedauert, bis er bei uns ankam. Er teilte uns mit, dass er geheiratet hatte – eine junge Kanadierin. Wir wollten sie gern sehen.‹ Und als sie den Leuten Fotos von früher zeigten, als Hans noch ein kleiner Junge war, hatte Mrs. Oleander Tränen in den Augen. Und Reverend Witt auch. Sogar Charlotte Butler vom Nähgeschäft und ihr Mann George …« – Tilda brauchte einen Moment, um zu Atem zu kommen – »… und das sind eigentlich keine sentimentalen Leute, die Butlers. Richtig laut geschluchzt haben sie.«
»Du musst mir das alles nicht erzählen, Tilda«, sagte ich.
»Es gibt noch einiges zu berichten, aber wenn’s dich nicht interessiert, dann behalt ich’s eben für mich. Nur eins noch, Wyatt. Ich habe Uli und Marcus meinen Nachruf vorgelesen, und sie haben mir geholfen, ihn zu verbessern.«
»Wie zu verbessern?«
»Mit Details aus Hans’ Kindheit und ein paar anderen Dingen. Sie wollen, dass man ihren Sohn so sieht, wie er war. Und Reverend Witt wird endlich den Nachruf in den Gemeindebrief setzen. Nächsten Sonntag, er hat’s versprochen. Besser spät als gar nicht, würde ich sagen.«
»Haben sie auch gefragt, wie
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