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Der Schlittenmacher

Der Schlittenmacher

Titel: Der Schlittenmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Norman
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…«
    »Sie wissen schon, wer was getan hat, aus meinem ersten Brief, da warst du noch in Rockhead. Nein, sie wollten nur über ihren Sohn sprechen und mich sehen.« Sie blickte einen Moment aus dem Fenster. »Hans hat seinen Eltern sehr ähnlich gesehen, wirklich. Er hatte die gleiche Art zu gehen wie sein Vater, die gleichen Augen und Augenbrauen. Aber den Mund und das Lächeln hatte er von seiner Mutter. Und Hans war größer als sein Vater.«

    »Ist wahrscheinlich schwierig für dich, dass du Hans in ihnen siehst.«
    »Nein. Du hast ja gar keine Ahnung, wie froh ich bin, sie zu sehen.«
    »Was haben sie denn zu Marlais gesagt?«
    Tilda antwortete nicht sofort. Stattdessen stand sie auf und machte Tee. Ich ging ins Schlafzimmer und sah dich auf dem Bett sitzen, Marlais. Du hast ein paar Blätter Papier ausgebreitet und lustige Gesichter gemalt, manche hatten Schnurrhaare wie eine Katze. Ich legte eine Schallplatte von Chopin auf. Tilda stellte mir eine Tasse Tee auf den Tisch. Sie schenkte sich selbst eine Tasse ein und setzte sich mir gegenüber.
    »Wir vier saßen zusammen in der Küche – ich, Marlais, Mr. und Mrs. Mohring«, erzählte sie. »Mrs. Mohring hielt Marlais auf dem Schoß, und sie haben sich prächtig verstanden. Ich habe Marlais noch nie so gesprächig erlebt. Sie malten mit Buntstiften auf Servietten – zuerst nur lustige Bilder von sich selbst. Aber dann sagte Uli zu Marlais, sie solle doch ein Bild von ihrer Familie malen. Und, Wyatt, auf dem Bild waren nur ich und Marlais.«
    »Und ich war nirgends zu sehen – auf der Serviette.«
    »Na ja, dein Auto war da.«
    »Vielleicht hat das bedeutet, dass ich in der Werkstatt bin und arbeite.«
    »Das muss sich jeder selber zusammenreimen.«
    Tilda trank langsam ihren Tee, und wir lauschten der Musik. Dann bist du in die Küche gekommen, Marlais, und hast uns eine Zeichnung gezeigt, die du gemacht hast – ein paar Boote, unter einer großen Sonne mit langen Strahlen, die aber nur oben über der Sonnenscheibe waren. Du warst in Söckchen und hattest ein Hemd und eine Latzhose an.

    »Das ist wunderschön«, sagte deine Mutter und gab dir hundert Küsse, und du hast die ganze Zeit gekichert. Als du wieder ins Schlafzimmer zurückgingst, sagte Tilda: »Ich wollte mit Uli Mohring allein sprechen, also ging Marcus mit Marlais spazieren. «
    »Dann hast du dich mit Mrs. Mohring unterhalten?«, fragte ich.
    »Wir haben geredet und geredet, ja, das haben wir.«
    »Na ja, gut.«
    »Aber mitten im Gespräch hat Uli Mohring auf einmal die Serviette glattgestrichen – die, auf der Marlais ihre Familie gezeichnet hat. »Tilda, meine Liebe«, sagte sie, »du hast bisher noch nicht ein Mal den Vater dieses süßen Kindes erwähnt. Warum kommt ihr nicht zu uns nach Dänemark und lebt bei uns?«
    »Das war sehr direkt.«
    »Sehr direkt und sehr klar.«
    »Und ich nehme an, du hast auch für mich geantwortet – aber was?«
    »Es geht nicht um das, was ich gesagt habe, sondern was ich gedacht habe. Und was ich dachte, war: Es sollte mich wundern, wenn das, was ich und Marlais brauchen, nicht in den großen Schrankkoffer meiner Mutter passen würde.«
    Weißt du, Marlais, es fällt mir schwer, dir das alles zu erzählen, doch es ist die Wahrheit.
    Ich glaube nicht, dass man sich an das, was einmal war, genau so erinnern kann, wie es geschehen ist – aber ich weiß noch genau, dass du keine fünf Minuten, nachdem wir dich vom Krankenhaus nach Hause brachten, in dem Gitterbett, das ich für dich gebaut hatte, eingeschlafen bist. Tilda hatte aus ihrem alten Zimmer ein wunderschönes Kinderzimmer für dich gemacht.
Du bist aufgewacht, wieder eingeschlafen, wieder aufgewacht. Deine kleinen Lungen waren wie ein Dudelsack. Du hast laut und deutlich geschrien, wenn dir etwas nicht passte – und damit hast du deine Meinung ohne Worte verkündet. Tilda und ich waren oft die ganze Nacht auf und bemühten uns, dich nicht jedes Mal, wenn du geschrien hast, aus dem Bettchen zu nehmen, weil Cornelia uns davor gewarnt hatte. Wenn wir das täten, hat sie gemeint, dann würden wir unser Kind bald nur noch als ein Wesen sehen, das ständig Hilfe braucht. Trotzdem, es war gegen alle natürlichen Instinkte, nicht sofort aufzuspringen und ins Kinderzimmer zu laufen. Während dieser ersten Nacht haben deine Mutter und ich überhaupt nicht geschlafen. Wir spielten Grammofonplatten und redeten, wärmten Babyfläschchen auf, desinfizierten die Gummisauger in kochendem Wasser, bevor wir

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