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Der Schlittenmacher

Der Schlittenmacher

Titel: Der Schlittenmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Norman
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saßen wir wieder am Küchentisch über der Bäckerei. »Ich will nicht«, sagte Tilda, »dass unsere Tochter irgendwann denkt, wir zwei wären
nur wegen ihr zusammengeblieben. Wahrscheinlich hätten wir irgendwann aus lauter Schuldgefühlen geheiratet, um gute christliche Eltern zu sein. Reverend Witt hat mich schon darauf angesprochen. Das Schicksal wollte es eben so, dass unsere Tochter Eltern hat, die sie lieben, die einander aber nicht lieben, jedenfalls nicht so, wie es sein sollte, und das würde sie früher oder später mitbekommen. Ich werde ihr eine Menge erklären müssen, wenn sie größer wird. Wo ist ihr Vater? Ich weiß, ich werde es ihr sagen müssen. Aber auf dem Schiff werden Uli und Marcus viel Zeit mit Marlais haben. Und dann, in Dänemark, werden sie uns haben und wir sie. Und dann werden wir sehen, wohin uns das Leben führt, wie Mom oft gesagt hat. Wir werden schon sehen.«
    »Wird es nicht so sein, dass Marlais Halbwaise ist, wenn du in Dänemark lebst und ich hier?«, erwiderte ich.
    »Ich würde sagen, besuch uns einfach – andererseits kann ich mir schwer vorstellen, dass du auch nur für einen Tag Neuschottland verlässt. Falls es doch passieren sollte, dann glaube ich wieder an Wunder. Aber Marlais ist genauso deine Tochter. Und Dänemark ist nicht aus der Welt, Wyatt. Ein Zug nach Dänemark kommt in Dänemark an. Du würdest dich schon nicht verirren. Uli und Marcus sagen, dass es ein sehr schönes Land ist. Du nimmst einfach deine Sägen und Meißel mit und lässt dich auch dort nieder, vielleicht in einer Stadt ganz in der Nähe von uns. Vielleicht gewöhnst du dich daran, dort zu leben. So wie Marlais und ich uns daran gewöhnen müssen. Ich meine, es ist genauso leicht oder schwer, wie es für Hans war, als er beschlossen hat, in Kanada zu leben. Wyatt, ich kann Marlais einfach nicht mehr hier auf dieser Seite des Ozeans aufziehen. Ich kann nicht in Middle Economy bleiben. Ich habe Ulis Einladung gebraucht, um das zu begreifen. Aber ich hab’s begriffen.«

    »Ich frage mich, ob es in Dänemark auch professionelle Klagefrauen gibt.«
    »Ich weiß es nicht. Wenn, dann müsste ich erst die dänische Sprache lernen, damit ich es richtig machen kann, oder? Nein, ich werde mir wahrscheinlich eine andere Arbeit suchen. Mir wird schon etwas einfallen. Das Gute ist, dass Marlais so etwas wie Großeltern haben wird – nicht direkt, aber so gut wie.«
    »Du klingst sehr überzeugt, Tilda. Dass alles so kommt, wie du es dir vorstellst.«
    »Es ist weniger das, Wyatt. Meine Entscheidung beruht mehr auf dem, was ich über unsere Vergangenheit weiß. Über deine und meine.«
    Ich stellte meinen Wagen bei der Esso-Tankstelle ab, nahe genug, um zu sehen, wie deine Mutter mit dir an der Hand in den Bus nach Halifax einstieg. Mr. und Mrs. Mohring waren schon mit einem früheren Bus gefahren. Sie würden sich im Lord Nelson Hotel mit euch treffen. Dann würdet ihr zusammen mit dem Schiff nach Europa fahren. Ein paar Tage später bekam ich eine Postkarte: Bon voyage uns allen stand darauf. Unterschrieben war sie mit Deine Cousine Tilda Mohring . Ihre Worte schufen eine größere Distanz zwischen uns als der Atlantische Ozean.
    Dann wart ihr weg, du und Tilda. Und eine Kleinigkeit machte mir so richtig klar, dass Tilda ein neues Leben anfing: Sie ließ das Highland Book of Platitudes zu Hause auf ihrem Nachttisch liegen. Ich fand es dort, als ich wieder ins Haus übersiedelte.
    Sobald im Gemeindebrief Hans’ Nachruf abgedruckt war, ließ ich die Schlittenmanufaktur verfallen. Am nächsten Morgen, einem Montag, heftete ich den Nachruf in der Werkstatt an die Wand. Ich schlug keinen Nagel ein, schmirgelte kein
Brett, befestigte keine Kufe an einem Schlitten, ja ich unternahm nicht einmal den Versuch, irgendetwas zu arbeiten. Ich legte eine Grammofonplatte auf, ich weiß nicht mehr, welche. Doch als die Nadel in der letzten Rille ankam und es zu rauschen begann, konnte ich kaum aufstehen von der Pritsche meines Onkels. Ich warf einen Hammer und traf den Tonarm, und die Nadel schlitterte mit einem lauten Kreischen von der Schallplatte. Abends aß ich eine Suppe, und danach war Stille; keine Grammofonmusik im Haus und keine Kinderstimme. Ich saß am Küchentisch und kapierte, wie die Dinge standen, wie Cornelia es ausgedrückt hätte. Voll und ganz. Ich sah glasklar vor mir, wie meine Tage und Nächte in dem Haus aussehen würden. Und obwohl es noch zwei Monate dauerte, bis das Geschäft, das mein Onkel

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