Der Schlittenmacher
dich fütterten – und das war alles sehr intim zwischen uns, obwohl wir uns gar nicht berührten. Wir redeten vor allem darüber, wie schwierig es sein könnte, dich in Middle Economy aufzuziehen. Wir stellten uns vor, es würde bissige Bemerkungen von den Nachbarn geben. Weißt du, wir dachten, du könntest darunter leiden, ein uneheliches Kind zu sein, und auch unter dem Mord, der vor deiner Geburt passiert war und der irgendwie zu deinem Erbe gehörte. Aber abgesehen von diesen Sorgen liebten wir dich mehr, als wir sagen konnten, Marlais. Bitte zweifle nie daran, dass du von Anfang an über alles geliebt worden bist.
Cornelia Tell wurde Großmutter, Kindermädchen, Ratgeberin, unser einziger echter Freund im Dorf, ein wahrer Segen – und sie hat dich geliebt. Wegen ihrer Güte spielten sich manche, die sich für besonders fromm hielten, als Richter auf und boykottierten ihre Bäckerei. »Für mich ist die Sache ganz einfach«, meinte Cornelia. »Sie haben sich gegen mich entschieden, und
ich entscheide mich gegen sie.« Richtig sonderbar verhielt es sich mit Leonard Marquette. Einmal bezahlte er gutes Geld für einen Anwalt, um mich vor Gericht zu bringen, damit ich ihm seine Arztrechnungen ersetze. Aber schon bei ihrem ersten Gespräch, als Leonard behauptete, er sei auf einer unsichtbaren Blutlache ausgerutscht, beschloss der Anwalt, ein Mr. Auchard, der das Protokoll von der Verhandlung vor dem Friedensrichter gründlich studiert hatte, die Finger von der Sache zu lassen.
In jenen Tagen gab es noch keine Frühstückspension in der Nähe, und das nächste Gasthaus war in Truro, also übersiedelte ich kurz nach deiner Geburt in die Räume über der Bäckerei. Das sorgte natürlich für einigen Klatsch – aber damit musste man leben. Eines Morgens meinte Cornelia: »Was mir wirklich leidtut, ist, dass ich nie ein Gästebuch geführt habe. Ich meine, sieh dir doch an, wer allein in den letzten fünf Jahren schon hier gewohnt hat! Aber weißt du, was mich am meisten überrascht hat?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Wie kompliziert das Leben in ein paar einfachen Räumen über einer Bäckerei werden kann. Ich meine, ich könnte ein Buch darüber schreiben, wenn ich’s könnte.«
Aber auch Tilda und ich erlebten eine Überraschung – denn zu unserer großen Erleichterung kamen nach und nach alle möglichen Leute aus dem Ort vorbei, um dich zu sehen, wie man eben ein Neugeborenes sehen möchte. Sie brachten Stofftiere und andere Geschenke mit. Mrs. Oleander hat dir Fäustlinge gestrickt und eine kleine Mütze mit Ohrenschützern, die du jedes Mal getragen hast, wenn wir in die Kälte hinausgingen. Du warst ein richtig schönes Kind. Ich habe oft gehört, dass du deiner Mutter ähnlich siehst – zum Beispiel hast du schon als Einjährige die gleichen widerspenstigen schwarzen Haare gehabt
wie Tilda! Wir waren so oft mit dir bei Cornelia – du bist praktisch in der Bäckerei aufgewachsen. Und so wie andere frischgebackene Eltern waren wir stolz, wenn dich die Leute bewunderten. Ich kaufte ein zweites Grammofon bei Randall Webb und stellte es mir in die Werkstatt, und du bist oft zur Musik eingeschlafen in deinem Stubenwagen, während ich an einem Schlitten arbeitete.
Ich kam jeden Morgen zum Frühstück in die Bäckerei, wirklich jeden Morgen. Und doch waren wir keine richtige Familie. Das war einfach nicht möglich. Wir waren nur Mutter und Vater, jeder mit seiner eigenen Adresse, wie Cornelia es ausdrückte, unverheiratet, in einer distanzierten Verbindung. Was uns verband, warst du und dein wunderbares Leben. Dein wunderbares Leben.
Man könnte sagen, das war mehr, als viele Leute haben.
Trotzdem, von der Nacht an, die Tilda und ich in der Bibliothek verbracht hatten, war es oft ziemlich mühsam zwischen uns. Eines Abends sagte Tilda, leicht beschwipst von zwei Gläsern Wein, die sie zum Essen getrunken hatte: »Wenn ich ganz ehrlich sein soll … – und ich will dich nicht verletzen, Wyatt.«
»Das heißt, dass du’s wahrscheinlich tun wirst«, sagte ich. »Aber sag’s nur, ich bin bereit.«
»Was in der Bibliothek passiert ist, habe ich schon am nächsten Morgen bereut. Aber unsere Tochter – sie macht mich so glücklich, wie ich es mir nur vorstellen kann. Wie klingt das?«
Nun, wie gesagt, das Leben, das Tilda und ich zusammen führten, war sehr mühsam. In dem letzten Gespräch, das Tilda und ich hatten, keine drei Stunden bevor sie Middle Economy verließ und mit dir nach Dänemark aufbrach,
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