Der Schlittenmacher
ein Rettungsflugzeug nähert sich. Zumindest für diese Kanadier ging die Sache also gut aus. Da wurde mir klar, dass der Vorfall, der hier auf der Leinwand dargestellt wurde, vor 1940 stattgefunden haben musste, oder vielleicht gerade noch 1940, denn danach holten U-Boote keine Überlebenden mehr aus dem Wasser. Das wusste ich aus einem Zeitungsartikel, der in der Werkstatt meines Onkels an der Wand gehangen hatte.
Während des Films gab es immer wieder den einen oder anderen Buhruf aus dem Publikum. Und ich hörte Cornelia lachen und weinen und ein paarmal »Mistkerle« sagen. Als wir zu ihrem Hotel zurückgingen, stellte ich fest, dass sie sich schon ihre Gedanken gemacht hatte. »Also, den sehe ich mir nicht noch einmal an«, meinte sie. »Aber ich habe trotzdem etwas daraus erfahren.«
Sicher, Marlais, es war ein Kinofilm und stellte gar nicht den Anspruch, immer bei den Tatsachen zu bleiben, das ist mir klar. Trotzdem gab es da eine Stelle in einem Dialog, die historisch eindeutig falsch war – und es gibt eine gerahmte Fotografie
hinter der Bar in Rigolo’s Pub in der Lower Water Street, die das beweist.
Weißt du, zu Anfang des Films fährt die Kamera an eine Karte von Kanada heran, dann sieht man den Sankt-Lorenz-Strom, und schließlich kommt U 37 unheilvoll und drohend an die Oberfläche, und während es landeinwärts fährt, motiviert der Kommandant seine Leute mit den typischen Nazi-Parolen: »Ihr werdet die Ersten unter den gesamten deutschen Streitkräften sein, die kanadischen Boden betreten. Die Ersten von Tausenden, die nach uns kommen werden.«
Aber wenn man dieses Schwarz-Weiß-Foto in Rigolo’s Pub betrachtet, dann sieht man da drei Männer Anfang zwanzig an der Bar stehen, die gut gelaunt mit ihren Biergläsern anstoßen. Sie haben Fischermützen auf und tragen dicke Fischerpullover. Die drei schauen direkt in die Kamera. Und irgendjemand – vielleicht der Fotograf oder der Inhaber des Pubs – hat das Gesicht des Mannes in der Mitte umkringelt. Er hat ein breites rundes Gesicht, Grübchen, ein energisches Kinn und schwere Augenlider vom Trinken. Ins Bild ist etwas hineingeschrieben – es verläuft von der Mitte zur rechten unteren Ecke des Fotos: Nazi-U-Boot-Navigator Werner Timm, U 69 , Die lachende Kuh, 12. Oktober 1939 . Du erinnerst dich, Marlais, Die lachende Kuh hat die Fähre Caribou versenkt, mit der Constance gefahren ist.
Aus den Zeitungen erfuhr ich, dass in der Zeit, bevor man sich erfolgreich gegen die U-Boote wehren konnte – bevor zum Schutz U-Boot-Sperrnetze gezogen wurden –, deutsche U-Boote an der Küste ankerten (manche sagen, in der Nähe von Peggy’s Cove) und die Besatzungsmitglieder ausstiegen und nach Halifax kamen. Sie gingen ins Pub, ins Kino und ins Restaurant und erzählten allen, sie seien Schweden von einem
schwedischen Frachter oder Norweger oder sonst irgendeine Lüge.
Und dieser Werner Timm war einige Male mit einer gewissen Wilma Raymond aus Halifax ausgegangen. Die Leute hatten sie zusammen gesehen, aber niemand hätte je von Timms wahrer Identität erfahren, wenn er sich an ihrem letzten gemeinsamen Abend nicht betrunken und Wilma alles erzählt hätte. Er machte ihr sogar einen Heiratsantrag! Sie wies ihn ab und erzählte später: »Er ist aus meiner Wohnung hinausgetorkelt und in den Straßen verschwunden.«
Wilma Raymond war die Nichte des Barkeepers von Rigolo’s Pub. Sie war entsetzt, als sie das Foto sah, das ihr Onkel hinter der Bar aufgehängt hatte: Werner Timm, leibhaftig. Sie schämte sich so, dass sie sich mit einem deutschen U-Boot-Offizier eingelassen hatte, dass sie ein paar Tage brauchte, bis sie den Mut fand, ihrem Onkel alles zu erzählen, was sie wusste. Natürlich war Die lachende Kuh längst über alle Berge.
Als er Bescheid wusste, schrieb Wilmas Onkel Timms Namen und Rang auf das Foto. Schnell sprach es sich herum, dass ein deutscher U-Boot-Navigator unbemerkt hier gewesen war, was einige Besorgnis in der Stadt hervorrief. Das Foto wurde sogar auf der Titelseite der Mail abgedruckt. Die Pub-Inhaber verlangten von da an einen Ausweis von ihren fremden Gästen. In der Zeitung stand, dass Wilma Raymond Halifax verlassen habe, »um Verwandte in Saskatchewan zu besuchen«. Das kann ich mir vorstellen.
Ich wünschte, der Slogan auf dem Plakat »Reden ist Silber, Schweigen ist Gold« hätte auch umgekehrt gewirkt, und Die lachende Kuh wäre versenkt worden, weil Werner Timm sich gegenüber Wilma Raymond verraten hatte. Dann
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