Der Schlittenmacher
hätte das U-Boot nicht drei Jahre später die Caribou versenken können,
und meine Tante würde noch leben. Das waren meine Gedanken, nachdem ich das alles erfuhr.
Da war nun jedenfalls dieses Foto, das eindeutig bewies, dass deutsche Militärs schon 1939 kanadischen Boden betreten hatten. Ich war erst letzte Woche wieder in Rigolo’s Pub und habe mir das Foto angesehen. Mittlerweile ist es ja ein historisches Dokument, könnte man sagen.
Aber man muss schon sehr genau hinsehen, wenn man erkennen will, wer da ganz am Ende der Bar steht – Hans Mohring. Hans ist in ein Gespräch mit einem Mann und einer Frau vertieft, wahrscheinlich Studenten. Es wird sein erstes Semester an der Dalhousie University gewesen sein. Hans hat eine Zigarette in der Hand, die Frau hat eine Zigarette im Mundwinkel.
Nach dem Film setzten wir uns in das kleine Café-Restaurant im Dresden Arms Hotel und tranken Tee, und Cornelia aß ihre letzten drei Pralinen vom Kino. »Ich habe neue Fotos von Tilda und Marlais mitgebracht«, sagte sie und schob mir einen Umschlag über den Tisch. Ich nahm die Fotos heraus, und da warst du, Marlais! Sieben Jahre alt, an einem Tisch im Freien zusammen mit fünf anderen Kindern. Auf dem Tisch stand eine Geburtstagstorte, und das Geburtstagskind blies die Kerzen aus. Du warst hübsch gekleidet, das Haar gekräuselt wie das deiner Mutter, du hattest ein breites Lächeln auf den Lippen und einen ausdrucksvollen Blick, so als hättest du gerade einen tiefen Gedanken. Das Geburtstagsfest schien jedenfalls allen Spaß zu machen.
Auf dem zweiten Foto warst du allein drauf, mit dem Meer im Hintergrund. Am rechten Handgelenk hattest du ein Armband aus Papierengeln. Vielleicht hat jedes Mädchen, das zu der Party eingeladen war, so ein Armband bekommen.
»Du solltest nach Dänemark fahren, Wyatt«, meinte Cornelia. »Warum tust du’s nicht einfach?«
»Ich kann mir die Fahrt nicht leisten, aber ich lege jeden Monat Geld für Marlais beiseite. Sie hat hier in Halifax ihr eigenes Bankkonto, das auf sie wartet. Das Geld ist da, wann immer sie es braucht, ich kann es ihr sogar nach Kopenhagen überweisen. Tilda weiß das.«
»Großzügig von dir, Wyatt, aber selbst nach Dänemark zu fahren, wäre wichtiger.«
»Es ist nun mal so, wie es ist.«
»Du unternimmst auch nicht gerade viel, dass es anders wird, oder?«
»Okay, ich kenne jetzt deine Meinung, Cornelia. Vielleicht könntest du mir erzählen, was Tilda in ihren Briefen so schreibt, ganz allgemein.«
»Dies und das. Hauptsächlich, was es von Marlais Neues gibt, über die Schule, ihre Freundinnen, wie das Leben bei den Mohrings ist, wie es nach dem Krieg in Dänemark aussieht, dies und das eben. Sie schreibt sehr lebendig, das konnte sie ja immer schon bestens.«
»Tilda und ich, wir schreiben uns nicht. Sie hat mir noch keinen einzigen Brief geschickt, und ich hab auch nie geschrieben.«
»Wenn jeder auf den anderen wartet, dann kommt nie irgendwo ein Brief an, stimmt’s?«
»Bis jetzt stimmt es, was du sagst.«
»Es ist sehr dumm von euch beiden. Ja, es ist das Dümmste und Selbstsüchtigste, was ich je von zwei Leuten mit einem gemeinsamen Kind gehört habe.«
Wir saßen eine Weile da und schauten auf die Straße hinaus, dann sagte ich: »Sind Marlais und Tilda glücklich, was glaubst du?«
»Lass es mich mal so sagen«, antwortete Cornelia. »In ihren Briefen schreibt sie über sehr persönliche Dinge, aber nicht so, dass man weiß, wie’s wirklich in ihr aussieht. Und glücklich ? Na ja, es klingt schon so, als hätte Marlais alles, was einem Kind in Dänemark nur geboten wird. Das ist zwar nicht dasselbe wie eine Kindheit in Neuschottland, aber wer weiß – vielleicht ist es das Zweitbeste auf der Welt. Das wäre immerhin nicht schlecht. Und wenn Marlais eine schöne Kindheit hat, dann kann man annehmen, dass Tilda schon allein darüber glücklich ist, nicht?«
»Noch etwas, Cornelia. Ich habe auch nie einen Brief an meinen Onkel geschrieben. Ich hab ihn nie besucht. Und ich will ihn gar nicht besuchen.«
»Ich war nur zweimal bei ihm. Und da lagen drei Jahre dazwischen. Aber weißt du, was dein Onkel im Gefängnis macht? Sie haben eine Holzwerkstatt dort. Er baut Schlitten. Ich glaube, keine Toboggans, aber Schlitten ganz bestimmt, weil er mir nämlich einen geschenkt hat. Ich hab ihn im Bus nach Hause gebracht. Er ist oben über der Bäckerei, in dem Raum, der einmal die Küche von Tilda und Hans war. Donald bat mich, den Schlitten
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