Der Schlitzer
ich die Augen.
Lucy Freeman stand vor mir!
Es dauerte etwas, bis ich sie richtig erkannt hatte, denn mein Blick mußte sich erst klären. Sie trug noch immer ihr grünes Kleid, hinter den Brillengläsern funkelten die Augen, und sie hatte beide Hände in die Seiten gestemmt. Sie war der lebende Triumph!
Daß ich sie so gut erkennen konnte, dafür sorgte das kalte Licht einer Leuchtstoffröhre unter der Decke. Es knallte auf uns nieder, aber auch auf dem mit dunklem Estrich bestrichenen Kellerboden, der mir so kalt wie ein Grab vorkam.
Sie sagte kein Wort und beobachtete mich nur. Hin und wieder bewegte sie die Lippen, als würde sie auf einem Gummi kauen, ich konnte mich um mich selbst kümmern und stellte fest, daß man mir nicht nur die Hände, sondern auch die Beine gefesselt hatten. Meine Hände lagen auf dem Bauch. Die Gelenke waren ebenso wie die Fußknöchel durch breite Klebebänder zusammengebunden.
Die konnte höchstens Herkules zerreißen, und das gleiche Klebeband spannte sich auch über meine Lippen.
Lucy Freeman kannte sich aus. Auf diese Frau konnte sich James bestimmt verlassen.
Und sie war zufrieden, was mir ihr Lächeln andeutete. Die folgenden Worte unterstrichen dies noch. »So ergeht es allen Schnüfflern, die sich in unsere Angelegenheiten einmischen wollen.«
Ich konnte keine Antwort geben, nur dumpfe Geräusche wurden in meiner Kehle produziert, worüber sich Lucy amüsierte. Später schüttelte sie dann den Kopf und kniete sich neben mir hin. Ich wußte, was sie vorhatte und vereiste innerlich, als sich ihre Hände meinem Gesicht näherten.
»Keine Sorge, Bulle. Ich werde Ihnen den Knebel bald abnehmen.« Mit einer Hand faßte sie das linke Ende des Klebestreifens an, zog es hoch und zerrte das Band dann mit einem heftigen Ruck von meinen Lippen weg. Es tat höllisch weh. Die Lippen rissen, Blut spritzte, und das Gesicht über mir verzog sich zu einem Lächeln.
»Wer Erfolg haben will, muß leiden, Sinclair. Und Sie werden viel erdulden müssen, darauf können Sie sich verlassen.« Kalt und böse funkelte sie mich an. In ihren Augen leuchtete Haß. Ich mußte für sie wirklich so etwas sein wie das Weihwasser für den Teufel. Mit der Zungenspitze leckte ich die Blutstropfen von den Lippen. Über mir leuchtete die Lampe wie eine kalte Sonne, in die ich nicht hineinschauen konnte, weil dabei meine Augen schmerzten.
»Ich glaube, daß Sie einen Fehler machen, Lucy. Einen verdammten Fehler, sogar.«
Sie schüttelte den Kopf. »Bestimmt nicht.«
»Was haben Sie denn vor? Wollen Sie mich umbringen?«
»Ich nicht.«
»Wer dann?«
Ich bekam keine direkte Antwort. »Sie werden sterben, Sinclair, das steht fest. Ja, Sie müssen sterben, aber auf eine besondere Art und Weise. Mein Bruder wird sich um Sie kümmern. Er wird Ihr Verhalten studieren, auch das vor und in den Sekunden des Todes. Ist das nicht wunderbar?«
»Wohl kaum.«
Herrisch winkte sie ab. »Kommen Sie, Sinclair, Sie haben es sich selbst zuzuschreiben. Sie hätten Ihre Schnüfflernase nicht in gewisse Dinge hineinstecken sollen, dann brauchten Sie jetzt nichts zu bereuen. In diesem Fall sind Sie einen Schritt zu weit gegangen.«
»Überhaupt nicht zu weit. Es ist mein Job, Lucy. Nicht mehr und nicht weniger.«
»Er wird Sie noch umbringen.«
»Dann kann ich es nicht ändern.«
Sie kicherte. »Gleich wird mein Bruder hier erscheinen, Schnüffler. Er wird sich um Sie kümmern. Freuen Sie sich schon auf seinen allerneuesten Test.«
Sie ging zur Seite und sagte nichts mehr. Ich lag auf dem Rücken und konnte nicht nur gegen die Decke, sondern auch gegen die Metalltreppe schauen, über die man mich geschleift hatte. An ihrem oberen Ende sah ich eine geschlossene Tür. Obwohl ich den Keller nicht kannte, wußte ich doch, daß ich nur einen kleinen Ausschnitt überblicken konnte. Der größte Teil des Raumes mußte hinter mir liegen, und hier unten befand sich auch die Höhle des Löwen.
Wie diese Höhle allerdings aussah, konnte ich höchstens ahnen. So wartete ich, merkte, daß die Schmerzen in meinem Schädel nicht mehr so schlimm waren. Aber ich mußte feststellen, daß ich meinen Hals kaum bewegen konnte, nur unter großen Schmerzen.
Sie hatten mich kalt erwischt, und sie würden mich auf ihre grausame Art und Weise töten.
An den Fesseln gab es nichts zu lockern. Die breiten Klebebänder hielten mich eisern fest. Allerdings fiel mir etwas anderes auf. Es war die Unruhe der Lucy Freeman. Immer wieder schaut sie auf
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