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Der Schlüssel zu Rebecca

Der Schlüssel zu Rebecca

Titel: Der Schlüssel zu Rebecca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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hatte.
    Als sie in den Eingang ihres Mietshauses einbog, sagte eine Stimme: »Abigail.«
    Sie erstarrte vor Schreck. Es war die Stimme eines Geistes. Sie wagte nicht hinzusehen. Die Stimme meldete sich wieder. »Abigail.«
    Sie drehte sich um. Eine Gestalt kam aus dem Schatten: ein alter Jude, schäbig gekleidet, mit verfilztem Bart, rot geäderten Füßen in Gummisandalen ...
    Elene flüsterte: »Vater.«
    Er stand vor ihr, als habe er Angst, sie zu berühren, und blickte sie an. »Immer noch so schön, und nicht arm ...«
    Sie machte einen Schritt nach vorn, küßte ihn auf die Wange und trat wieder zurück. Sie wußte nicht, was sie sagen sollte.
    »Dein Großvater, mein Vater, ist gestorben.«
    Sie nahm seinen Arm und führte ihn die Treppe hinauf.
    In der Wohnung sagte sie: »Du solltest etwas essen«, und schob ihn in die Küche. Sie erhitzte eine Pfanne und begann, die Eier zu schlagen. Mit dem Rücken zu ihrem Vater fragte sie: »Wie hast du mich gefunden?«
    »Ich habe immer gewußt, wo du warst. Deine Freundin Esme schreibt an ihren Vater, den ich manchmal treffe.«
    Esme war keine Freundin, eher eine Bekannte, und Elene begegnete ihr alle zwei oder drei Monate. Sie hattenie erwähnt, daß sie Briefe nach Hause schickte. »Ich wollte nicht von dir gebeten werden, nach Hause zu kommen.«
    »Was hätte ich dir schon sagen können? ›Komm zurück, du hast die Pflicht, zusammen mit deiner Familie zu hungern.‹ Nein.«
    Sie zerschnitt die Tomaten und mischte sie unter das Omelett. »Du hättest gesagt, daß es besser ist zu hungern, als unmoralisch zu leben.«
    »Ja, das hätte ich gesagt. Und wäre ich im Unrecht gewesen?« Elene wandte sich zu ihm. Der grüne Star, der sein linkes Auge vor Jahren hatte erblinden lassen, legte sich nun auch auf das rechte. Er mußte fünfundfünfzig Jahre alt sein, aber er sah aus wie siebzig.
    »Ja, du wärest im Unrecht gewesen. Es ist immer besser, zu überleben.«
    »Vielleicht.«
    Ihre Überraschung mußte sich in ihrem Gesicht widergespiegelt haben, denn er fuhr fort: »Ich bin mir dieser Dinge nicht mehr so sicher wie früher. Ich werde alt.«
    Elene halbierte das Omelett und ließ es auf zwei Teller gleiten. Sie stellte Brot auf den Tisch. Ihr Vater wusch sich die Hände und segnete das Brot. »Gesegnet seist du, oh Herr unser Gott, König der Welt ...« Elene war überrascht darüber, daß das Gebet sie nicht in Wut brachte. In den schwärzesten Momenten ihres einsamen Lebens hatte sie ihren Vater und seine Religion verflucht, weil sie für ihre jetzige Existenz verantwortlich waren. Sie hatte versucht, Gleichmut, vielleicht sogar milde Verachtung aufzubringen, aber es war ihr nicht ganz gelungen. Während sie ihm jetzt beim Beten zusah, dachte sie: Und was tue ich, wenn dieser Mann, den ich hasse, an meiner Schwelle auftaucht? Ich küsse ihn auf die Wange, lade ihn zu mir ein und gebe ihm ein Abendessen.
    Sie begannen zu essen. Ihr Vater war sehr hungrig undschlang seine Mahlzeit hinunter. Weshalb mochte er gekommen sein? Nur um vom Tod ihres Großvaters zu berichten? Nein.
    Sie erkundigte sich nach ihren Schwestern. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte jede der vier auf ihre Art mit ihrem Vater gebrochen. Zwei waren nach Amerika gegangen, eine hatte den Sohn des größten Feindes ihres Vaters geheiratet, und die jüngste, Naomi, hatte den sichersten Ausweg gewählt und war gestorben. Elene begann zu begreifen, daß ihr Vater alles verloren hatte.
    Er fragte nach ihrer Beschäftigung. Sie beschloß, ihm die Wahrheit zu sagen. »Die Briten versuchen, einen Deutschen zu fangen; sie halten ihn für einen Spion. Meine Aufgabe ist, mit ihm Freundschaft zu schließen ... Ich bin der Köder in der Falle. Aber ... es könnte sein, daß ich ihnen nicht mehr helfen werde.«
    Ihr Vater hörte auf zu essen. »Hast du Angst?«
    Sie nickte. »Er ist sehr gefährlich und hat einen Soldaten erstochen. Gestern abend ... sollte ich ihn in einem Restaurant treffen, wo die Briten ihn verhaften wollten, aber etwas ging schief, und ich verbrachte den ganzen Abend mit ihm. Ich fürchtete mich so, und als es vorbei war, hat der Engländer ...« Sie schöpfte tief Atem. » Jedenfalls mache ich vielleicht nicht mehr mit.«
    Ihr Vater aß weiter. »Liebst du diesen Engländer?«
    »Er ist kein Jude«, sagte sie herausfordernd.
    »Ich versuche nicht mehr, über jeden ein Urteil zu fällen.« Elene war erstaunt. Hatte ihr Vater sich völlig geändert?
    Sie beendeten ihre Mahlzeit, und Elene stand

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