Der Schlüssel zu Rebecca
auf, um ihm ein Glas Tee zu bringen. Er sagte: »Die Deutschen kommen. Es wird sehr schlimm für die Juden werden. Ich verschwinde.« Sie runzelte die Stirn. »Wohin?«
»Nach Jerusalem.«
»Wie denn? Die Züge sind überfüllt, es gibt eine Quote für Juden ...«
»Ich werde zu Fuß gehen.«
Sie starrte ihn an. Er konnte es nicht ernst gemeint haben, aber über so etwas würde er nicht scherzen. »Zu Fuß?«
Er lächelte. »Es wäre nicht das erste Mal.«
Elene merkte, daß er entschlossen war, und wurde wütend. »Wenn ich mich recht erinnere, hat Moses es nicht geschafft.«
»Vielleicht nimmt mich jemand ein Stück mit.«
»Das ist verrückt!«
»Bin ich nicht immer ein bißchen verrückt gewesen?«
»Ja!« rief sie. Plötzlich flaute ihr Zorn ab. »Ja, du bist immer ein bißchen verrückt gewesen, und ich sollte wissen, daß ich dich nicht umstimmen kann.«
»Ich werde zu Gott beten, daß er dich verschont. Du hast eine Chance, denn du bist jung und schön, vielleicht werden sie nicht erfahren, daß du Jüdin bist. Aber ich, ein nutzloser alter Mann, der hebräische Gebete murmelt ... mich würden sie in ein Lager schicken, wo ich bestimmt umkäme. Es ist immer besser zu überleben. Das sind deine eigenen Worte.«
Sie redete ihm zu, bei ihr zu bleiben, wenigstens für eine Nacht, doch er ließ sich nicht erweichen. Elene gab ihm einen Pullover, einen Schal und alles Bargeld, das sie im Hause hatte. Sie erklärte ihm, daß sie mehr Geld von der Bank holen und ihm einen guten Mantel kaufen könne, wenn er nur einen Tag warte. Aber er war nicht aufzuhalten. Sie weinte, trocknete sich die Augen und weinte von neuem. Schließlich blickte sie aus dem Fenster und sah, wie er die Straße entlangging: ein alter Mann, der in die Fußstapfen der Kinder Israel trat, Ägypten verließ und in die Wildnis zog. Etwas von dem Mann, den sie gekannt hatte, war doch noch übriggeblieben: Obwohl er nicht mehr so orthodox war wie früher, besaß er immer noch einen eisernen Willen. Er verschwand in der Menge, und Elene trat vom Fenster zurück. Wenn siean den Mut ihres Vaters dachte, wußte sie, daß sie Vandam nicht im Stich lassen konnte.
*
»Ein rätselhaftes Mädchen«, sagte Wolff. »Ich weiß nicht ganz, was ich von ihr halten soll.« Er saß auf dem Bett und beobachtete Sonja, die sich anzog. »Sie ist etwas nervös. Nachdem sie erfahren hatte, daß wir ein Picknick machen würden, schien sie ziemlich verängstigt, als brauche sie eine Anstandsdame.«
»Die hätte sie bei dir auch gebraucht.«
»Aber sie kann auch sehr derb und direkt sein.«
»Bring sie einfach mit nach Hause. Ich werde sie schon enträtseln.«
»Es beunruhigt mich.« Wolff zog die Brauen zusammen, er dachte laut nach. » Jemand versuchte, zu uns ins Taxi zu springen.«
»Ein Bettler.«
»Nein, es war ein Europäer.«
»Ein europäischer Bettler.« Sonja hörte auf, ihr Haar zu bürsten, und sah Wolff im Spiegel an. »Diese Stadt ist voll von Verrückten, das weißt du doch. Wenn du Bedenken hast, stell dir einfach vor, wie sie sich dort auf dem Bett krümmt und wir beide rechts und links neben ihr liegen.«
Wolff grinste. Es war ein lockendes, aber kein unwiderstehliches Bild, denn es war Sonjas Wunschtraum, nicht seiner. Sein Instinkt riet ihm, sich jetzt zurückzuziehen und sich mit niemandem zu verabreden. Aber Sonja würde nicht nachgeben – und er brauchte sie noch immer.
»Und wann soll ich Kontakt mit Kemel aufnehmen?« fragte Sonja. »Inzwischen weiß er bestimmt, daß du hier wohnst.« Wolff seufzte. Noch eine Verabredung, noch jemand, der Ansprüche an ihn stellte, noch eine Gefahr –doch wiederum jemand, dessen Schutz er benötigte. »Ruf ihn heute abend aus dem Club an. Ich bin nicht scharf auf dieses Treffen, aber wir müssen ihn bei Laune halten.«
»In Ordnung.« Sie war fertig, und ihr Taxi wartete. »Verabrede dich mit Elene.« Damit ging sie hinaus.
Sonja war nicht mehr so fest wie früher in seiner Macht. Die Mauern, die man baut, um sich zu schützen, engen gleichzeitig ein. Konnte er es sich leisten, ihren Wunsch zu ignorieren? Sie würde ihn vielleicht verraten, wenn sie wirklich verärgert war.
Wolff stand vom Bett auf, holte Papier und einen Federhalter und setzte sich, um Elene einen kurzen Brief zu schreiben.
17
D IE BOTSCHAFT WURDE einen Tag nachdem Elenes Vater sich nach Jerusalem aufgemacht hatte, abgegeben. Ein kleiner Junge kam mit
einem Umschlag an die Tür. Elene gab ihm ein Trinkgeld und
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