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Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)

Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)

Titel: Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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einen fragenden Blick zu, fährt sich mit dem Zeigefinger über die Wange, um sie auf Kolbeinns Verletzung aufmerksam zu machen, aber sie zuckt die Achseln und scheint keine Ahnung zu haben.
    Ist heute Abend Sitzung?, fragt Kolbeinn und meint das Treffen der Arbeitergewerkschaft, das einmal im Monat in der Wirtschaft stattfindet. Es sind seine ersten Worte seit der Nacht, furchtbar banal und alltäglich, aber er schafft es, auch sie mit Feindseligkeit hervorzustoßen.
    Ja, um acht Uhr, sagt Helga, setzt sich ans Tischende, schlürft etwas Kaffee, der die Adern wärmt, dann geht es auch dem Herzen besser. Sie seufzt erleichtert. Wenn es einen Himmel gibt, wachsen dort Kaffeebohnen. Soll ich dir ein bisschen Salbe auf deine Kratzer tun? Sie könnten sich sonst entzünden, sagt sie.
    Woher hast du die überhaupt?, fragt der Junge, ohne Kolbeinns Antwort abzuwarten. Er ist noch zu jung für ein bisschen Feingefühl. Kolbeinn schnaubt, stemmt sich auf die Beine und stampft wie ein gereizter Hammel aus der Küche, haut dabei mit seinem Stock gegen die Wand, zweimal direkt bei Jens’ Zimmer, der aus dem Schlaf fährt, das Schnarchen bricht abrupt ab, er hat hämmernde Kopfschmerzen. Sie hören, wie Kolbeinn heftig mit dem Stock pochend die Treppe hinaufstapft, vielleicht will er Geirþrúður gleich auch noch wecken.
    Du meine Güte, kann der freundlich sein, sagt der Junge.
    Ja, aber du solltest ihn auch nicht so direkt fragen. Die Kratzer hat er sich bestimmt nicht einfach so zugezogen.
    Sie hören lautes Türenschlagen von oben. Kolbeinn ist in seiner Höhle verschwunden, hat mit aller Kraft die Tür zugeknallt, damit man es auch sicher unten in der Küche noch hört.
    Der hält es jetzt außer mit sich mit keinem aus, brummt der Junge in die Hafergrütze.
    Bist du so sicher, dass er das überhaupt tut, sagt Helga leise und guckt, als wolle sie durch Decken und Wände zu Kolbeinn hineinsehen.
    Der alte Kapitän liegt angekleidet auf seinem Bett und streichelt den Stock wie einen treuen Hund. Sein Zimmer ist genauso groß wie das des Jungen. Neben dem Bett steht ein massiver Bücherschrank, darin stehen rund vierhundert Bücher, etliche dick und viele auf Dänisch, alle aus der Zeit, als Kolbeinn noch sehen konnte, als seine Augen noch ihren Zweck erfüllten. Jetzt liegt er im Bett, und seine Augen taugen nichts mehr. Man könnte sie ins Meer werfen, sie könnten dort auf dem Grund ruhen, voller Finsternis. Der alte Seemann stöhnt.
    Manchmal tut es gut zu reden, wenn es einem elend geht, hatte Helga gesagt, während der Kaffee kochte und sie nur zu zweit waren. Ich habe wirklich gute Ohren.
    Aber Kolbeinn hatte nur etwas gemurmelt, was er selbst kaum verstand. Viele ziehen es vor, zu schweigen, wenn das Leben gerade wehtut, Wörter sind oft bloß tote Steine oder fadenscheinige Flicken. Sie können auch Unkraut sein, gefährliche Keime, morsche Pfosten, die keine Ameise mehr tragen, geschweige denn ein Menschenleben. Und trotzdem gehören Worte zu dem Wenigen, was uns noch bleibt, wenn uns alles verlassen zu haben scheint. Denk daran! Auch an das, was niemand begreift, dass nämlich die unbedeutendsten und unwahrscheinlichsten Wörter völlig überraschend große Lasten tragen und das Leben wohlbehalten über schwindelnde Abgründe hinwegbringen können.
    Kolbeinns Augen fallen allmählich zu, er schläft. Der Schlaf ist gnädig, und trügerisch.

VII
     
    Es hat wieder zu schneien begonnen, als Ólafía zu ihnen hereinplatzt. Der Himmel verfügt über endlose Mengen an Schnee. Es fallen Engelstränen, sagen die Indianer im Norden Kanadas, wenn es schneit. Hier schneit es viel, und die Traurigkeit des Himmels ist schön, sie ist eine Decke, die den Boden vor Frost schützt und den dunklen Winter erhellt, doch sie kann auch kalt und unbarmherzig sein. Ólafía ist völlig verschwitzt, als sie an die Tür der Gastwirtschaft klopft, so leise, dass sie lange warten muss, vielleicht zwanzig Minuten, bis ihr der Junge endlich aufschließt, und da ist der Schweiß auf ihrer Haut längst erkaltet, sie zittert, wie es große junge Hunde manchmal tun.
    Du hättest lauter klopfen sollen, sagt der Junge und macht sich keine Vorstellung davon, wie abwegig ein solcher Vorschlag ist. Ólafía hätte nie im Leben so entschieden, ja, aufdringlich zu erkennen geben können, dass es sie gibt.
    Na ja, jetzt bin ich ja drinnen, konstatiert sie bloß und macht sich daran, die Schuhe zu wechseln. Vor dem Eintreten hat sie sich sorgfältig

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