Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)
hinten mit dem Gesicht voran in den Schnee fällt. Hjalti murrt, als Jens das Tempo erhöht, aber er hält Schritt, will nicht zurückbleiben, nicht schwächer erscheinen; Männer sind primitiv, leicht auszurechnen. Der Junge bleibt gerade noch dran, er ist ja auch noch kaum ein Mann, er stapft dem Schlitten nach und schiebt längere Zeit nicht mehr mit. Warum gehe ich denn sonst ins Sodom, denkt Jens. Wirklich nur, weil ich die Wirtsleute gut leiden kann? Oder nicht vor allem, weil ich meine Freude an Marta habe, an ihren Gedanken und Bemerkungen? Wenn es mir nur um den Alkohol ginge, könnte ich auch bei Geirþrúður trinken oder im Weltende. Geht es mir nicht doch in erster Linie um Marta, darum, die Spannung zu spüren, die verdammte Gier? Damit ich auf den Hochheiden an ihre Art, sich zu bewegen, denken kann? Was siehst du mich so oft an, hat sie ihn einmal in einer Sommernacht gefragt, als die Sonne stumm und unausgeschlafen gerade noch über dem Spiegel des Fjords stand. Er hat nicht geantwortet, nur mehr getrunken, und sie hat darauf gelächelt und gesagt: Guck du ruhig, wenn es dir Spaß macht. Ich gucke einfach zurück. Groß genug bist du ja.
Und dann ließ er die Magd in Vík weiter massieren und streicheln, obwohl die größte Kälte längst gewichen war. Er ließ sie immer weiter und höher streichen, und er ließ sie sehen, welche Folgen das hatte. Kann ich also nicht leben, ohne zu hintergehen, was mir das Wichtigste im Leben ist? Nein, das kann ich nicht, und was sagt das über mich aus? Und wie soll ich dem Blick von Halla standhalten können, wenn ich nach Hause komme, diesen Augen, die mich ansehen, als ob ich das Beste und Schönste auf der Welt sei? Wenn ich auch nur einen Funken Anstand im Leib hätte, würde ich mir die Eier abschneiden und sie den Hunden vorwerfen!
Brr, ho, ho!, ruft Hjalti, willst du dem Teufel davonlaufen, oder was? Jens wird etwas langsamer, er hat tatsächlich zu laufen begonnen, obwohl es in diesem Gelände eigentlich unmöglich ist, zumal in diesen Verhältnissen, er aber pflügte durch den Schnee, dass der Junge hinten nur noch am Sarg hing, um sie nicht zu verlieren, und tote Augen sahen ihn durch die Bretter an. Es wird Nacht, ruft Hjalti.
Na und, bellt Jens zurück. Was macht das?
Nichts, wir sollten uns nur allmählich nach einer geschützten Stelle umsehen und ein Weilchen ausruhen.
Eine geschützte Stelle? Weswegen?
Wegen des vermaledeiten Sturms, wozu denn sonst?
Es gibt nichts, was man Schutz nennen könnte, sagt Jens so leise, dass der Wind die Worte auseinanderreißt.
Wenig später, vielleicht eine halbe oder eine Stunde später findet Hjalti eine schützende Stelle. Er bindet die Schaufel los, die er auf den Schlitten geschnallt hat, und erweitert den Unterstand, indem er eine Höhlung in den Schnee gräbt.
Wir ruhen uns eine Stunde aus, dann gehen wir weiter. Es ist ohnehin mitten in der Nacht, erklärt er.
Ausruhen, wozu?, knurrt Jens und sieht zu, wie Hjalti den Sarg in die schmale Kluft schiebt und sorgfältig dort unterbringt.
Wir sind jetzt seit fünfzehn Stunden in flottem Tempo unterwegs, sagt Hjalti. Da muss man auch mal ausruhen und etwas essen.
Er und der Junge setzen sich und lehnen sich mit dem Rücken gegen den Sarg.
Ich brauche keine Ruhe, meint Jens, nimmt aber dennoch die Posttaschen ab, lässt sich nieder und spürt augenblicklich eine tiefe Müdigkeit. Er kramt den Proviant hervor, es könnte ruhig mehr sein. Aber er hat es abgelehnt, alles anzunehmen, was Bjarni ihm mitgeben wollte. Die Kinder brauchen das Essen, wir kommen schon klar, hat er mit Recht gesagt, trotzdem bereut er es jetzt.
Beim gebratenen Satan, ist das alles?, flucht Hjalti.
Es wird reichen, meint Jens knapp.
Soll er in der Hölle schmoren, murrt Hjalti und hat seine Portion rasch aufgegessen. Der Junge reicht ihm einen Teil von seiner.
Ich bin nicht so groß, sagt er.
Tust du denn nichts anderes als fressen?, erkundigt sich Jens.
Ich bin mein Leben lang hungrig gewesen, gibt Hjalti zurück, und dann schweigen sie. Hungrig, kalt und durstig, aber es hilft, sich auszuruhen.
Das tut gut, gibt Jens überraschend zu, und Hjalti wirft ihm einen Blick zu. Sein grobknochiges Gesicht hat unter dem eisigen Überzug, den er nach und nach abpult, einen kindlich frohen Ausdruck.
Manchmal hilft es auch, zu singen, verkündet er wenig später. Es hält einen warm, und wer singt, schläft nicht ein.
Ich kann Gesang nicht ausstehen, sagt Jens.
Dachte ich mir, sagt
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