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Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)

Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)

Titel: Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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an diesem Morgen. Als Bjarni die Tür öffnet, schlägt ihnen Rauchgeruch entgegen. Er geht hinein und kommt mit einem Schlitten und einem Sarg darauf wieder heraus. Der Sarg ist aus rauem Treibholz zusammengezimmert und wirklich kein Schmuckstück, aber das ist der Tod auch nicht.
    Ich begleite euch bis auf den Berg, sagt Bjarni. Keine Widerrede.
    Der Junge schaut hinauf. Die Berge stehen im Halbkreis um die Bucht, an manchen Stellen starren lotrechte, schwarze Felsbänder trotzig aufs Meer hinaus.
    Die Männer ziehen den Schlitten an, und er gleitet gut über den Schnee.
    Willst du den Kindern nicht Bescheid sagen?, fragt Hjalti.
    Das habe ich.
    Ich meine, dass du nicht den ganzen Weg mitkommst.
    Bjarni bleibt stehen und blickt hinunter zum Haus. Die Kinder sind noch nicht hineingegangen, warten samt Hund an der Tür und schauen zu ihnen herauf.
    Geh du zu ihnen, sagt Bjarni, dann kannst du dich auch gleich von ihnen verabschieden.
    Das habe ich schon getan, bevor ihr aus dem Haus kamt. Ich habe ihnen gesagt, ich müsste eine kurze Reise mit den Gästen unternehmen. Aber ich kann’s ja noch mal tun. Damit läuft der große Kerl bemerkenswert leichtfüßig los.
    Weiter, kommandiert der Bauer und zieht vorn mit Jens, während der Junge hinten schiebt. Zweimal blickt er sich um und sieht Hjalti Beta hoch in die Luft heben und seinen Kopf an ihrem Bauch reiben.
    Bald hat er sie wieder eingeholt. Es ist schwere Arbeit, den Sarg die Hänge hinaufzuziehen, es braucht mindestens vier Lebende, um den Tod wegzuschaffen. Der Junge kommt stark ins Schwitzen, manchmal muss er in die Knie gehen, um zu schieben, so steil ist es. Sie gewinnen nur quälend langsam an Höhe, weil sie auf der leichtesten Route im Hang quer aufsteigen; leicht aber ist es nirgendwo, und wenn der Junge in die Knie geht, keucht er direkt gegen den Sarg. Sein heißer Atem dringt durch die Ritzen ein.
    Es sind nicht mehr als dreihundert Meter, erklärt Bjarni, als sie etwa auf halber Höhe verschnaufen. Der Hof ist ein kleiner Klecks unten, die Kinder sind verschwunden, als hätten sie nie existiert. Ich werde sie nie wiedersehen, denkt der Junge traurig. Es ist nicht immer ein Vorteil, höher hinaufzusteigen, um bessere Übersicht zu gewinnen. Sie sehen das Meer, sie sehen, dass es kein Ende hat. Je höher du hinaufsteigst, desto kleiner wird der Mensch und desto größer das Meer.
    Bjarni verabschiedet sich am oberen Rand des Plateaus von ihnen. Eine wellige Hochebene breitet sich vor ihnen aus.
    Gut vierundzwanzig Stunden, wenn das Wetter einigermaßen gut bleibt, sagt Bjarni und vermeidet es, Richtung Horizont zu blicken, wo die Welt düsterer wird.
    Ich bin vorsichtig mit dem Schnaps, sagt Hjalti.
    Bjarni blickt auf den Sarg, und die anderen wenden sich ab, sind auf einmal ganz damit beschäftigt, sich umzusehen.
    Mit dem Schlitten bezahlst du dem Pfarrer das Grabgeld, Hjalti, sagt Bjarni und schaut über die Berge und Heiden nach Westen, räuspert sich und setzt hinzu: Gott sei mit euch. Dann gibt er jedem die Hand und beginnt den Abstieg. Die anderen gehen in die entgegengesetzte Richtung, nach Westen, der auf mysteriöse Weise ganz im Norden zu liegen scheint, als ob das hier die einzige Himmelsrichtung sei. Der Junge schiebt, die beiden anderen ziehen; es geht leicht, wunderbar leicht. Zwei Stunden später fängt es an zu schneien. Erst ganz leicht, dann wird es immer dunkler. Hjalti flucht. Im gleichen Moment springt Wind auf.

XII
     
    Vier Menschen unterwegs, drei lebende, ein toter.
    Manchmal geht der Junge auch neben den beiden Hünen vor dem Sarg, ein Hölzchen zwischen Baumstämmen, aber leider geht er meist dahinter, muss schieben. Seine Hände legen sich auf das raue Holz und drücken, schieben, er setzt all seine Kraft ein, und nur wenige Zentimeter unter seinen Handflächen liegt ihr Gesicht, blau vom Tod, weiß von der Kälte. Ziehen ist schwerer, oft sinken die beiden vorn ein, permanent müssen sie den Weg durch den Schnee bahnen, und trotzdem ist es vorn auch besser, da fühlt man sich dem Leben näher als hinter dem Sarg. Der Schlitten mit der Holzkiste hält natürlich ein wenig den Wind ab, vor allem wenn der Junge sich bückt, aber dann fühlt er die Kälte des Todes nach sich greifen. Er versucht es damit, die Arme vorzustrecken, damit der Kopf hinter und nicht über dem Sarg bleibt, aber wenn es bergauf geht, einen Hang, eine Anhöhe, eine Kuppe hinauf, und wenn Jens und Hjalti sich vorn ins Geschirr legen, dann muss er sich

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