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Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)

Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)

Titel: Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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Brot als Gaben« zum fünften oder sechsten Mal gesungen haben.
    Der Junge: Dünne, knusprige Fladen Laufabrauð.
    Hjalti: Grütze mit Milch und Sirup. Und Kerzen.
    Jens: Geräuchertes Lamm.
    Hjalti: Da sagst du was! Hangikjöt bei Kerzenlicht, Jungs, das ist das Glück. Man soll ja nicht klagen, sondern sein Leben leben, aber ich hatte wirklich ein beschissenes Leben. Als Kind wurde ich von einem zum anderen weitergereicht, willkommen war ich nirgends, und gut gehabt habe ich es auch nirgendwo, außer bei der seligen Ásta, wenn auch nicht gerade in Reichtum und Schwelgerei; es ist wirklich ein Elend, an diesem Ort zu wohnen. Ihr solltet mal sehen, wie da die Brecher angerollt kommen und auf die Felsen donnern. Da zittert der Boden unter dem Haus, und der Mut wackelt und schlottert in einem. Es gibt ganze Sommer, die aus nichts anderem bestehen als einer dicken Nebelsuppe; in dem vor zwei Jahren hat an genau zwei Tagen die Sonne geschienen, und da war es so was von windig! Ansonsten herrschte ewig dieser nasse Nebel, fast das ganze Heu ist verfault. Der folgende Winter war hart, und als es aufs Frühjahr zuging, gab es nichts mehr zu beißen. Wir haben selbst auf den Fingern gekaut, aber den Kindern von unseren Hungerrationen abgegeben, denn es ist doch schrecklich, Kinder vor Hunger weinen zu sehen, das tut genauso weh, wie sich bei vollem Bewusstsein etwas abzuschneiden. Zuletzt hat Bjarni nicht mehr gewagt, das Vaterunser zu beten, weil die kleine Beta jedes Mal zu weinen anfing, wenn er sagte: Unser täglich Brot gib uns heute. Trotzdem lebt es sich gut dort, ich habe eine Unterkunft und bin weit weg vom Schnaps. Fünf Jahre habe ich jetzt dort gewohnt und bin nur zweimal an Sprit gekommen, beim zweiten Mal hätte ich Bjarni allerdings fast totgeprügelt. Da siehst du, was ich für einer bin, sagt er und guckt den Jungen an, Jens rutscht unbehaglich hin und her.
    Der Junge atmet nach Möglichkeit mit offenem Mund, um nicht den Geruch von Geräuchertem und toter Frau in die Nase zu bekommen. Er sieht Hjaltis grobknochiges Gesicht vor sich, die blauen Augen, die vor sich hin blicken, die Miene wie eine Wunde, die sich öffnet und schließt. Hjalti schüttelt den Kopf: Ich kann mich selbst nicht ausstehen, wenn ich getrunken habe, ich begreife nicht, wo der Mann herkommt, der ich dann bin, ich begreife nicht, warum ich ihn nicht in den Griff kriege.
    Was ist mit deinen Eltern?, fragt der Junge.
    Was soll mit denen sein?
    Du hast gesagt, du seist herumgereicht worden.
    Jeder hat das Recht, sein Leben für sich zu behalten, wirft Jens dazwischen.
    Ich habe bloß eine Frage gestellt, erwidert der Junge. Manchmal fragt man eben etwas.
    Du fragst nicht bloß manchmal, du fragst andauernd, sagt Jens. Was glaubst du eigentlich, was du dadurch herausbekommst?
    Nicht nötig, solche Wellen zu schlagen, Leute, unterbricht Hjalti. Es war bloß eine Frage, und die ist rasch beantwortet: Ich weiß nichts von ihnen. Ich kam zur Welt und wurde von da an von einem Hof zum nächsten weitergereicht, von einem verfluchten Loch zum nächsten, einen Winter hier, den nächsten da, am längsten war ich noch auf Gil, den Namen darf ich nie vergessen, damit ich noch in meiner Todesstunde auf ihn spucken kann. Dahin kam ich, als ich acht war, und blieb sechs Jahre; der Bauer hat mich davongejagt, als er Angst vor mir bekam. Mit dreizehn war ich schon ziemlich groß und stark. Mir ist völlig unbegreiflich, wovon ich überhaupt so gewachsen bin. Bestimmt aus Trotz. Das Einzige, was ich wirklich erreichen wollte, war, so groß zu werden, dass ich die verdreschen konnte, die mich geprügelt und getreten haben, und das habe ich geschafft. Weiß nicht, ob ich Gott oder dem Leibhaftigen dafür danken muss. Der Bauer auf Gil heißt Jósef und seine Frau María, wie die Eltern von Jesus. Solche Späße macht das Leben manchmal, Leute. Soweit ich weiß, leben sie immer noch. Manchmal erkundige ich mich danach, es ist nämlich einfacher, Lebende zu hassen als Tote. Jósef ist ein großer Spaßvogel und hat nicht selten wegen meiner Angst vor der Dunkelheit seine Späßchen mit mir getrieben. Als Kind habe ich Gespenster und Ausgeburten von wer weiß was in jeder Ecke gesehen. Er hat sich gern im Dunkeln an mich herangeschlichen und dann furchtbar zu keuchen und zu stöhnen angefangen. Abends hat er mir die schauerlichsten Geschichten erzählt, und dann wurde ich zum Schlafen in den pechfinsteren Gang geschickt.
    In den Hausflur?, fragt Jens.
    Es gab

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