Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)
wenig Platz auf Gil, sagt Hjalti. Die Stube war eng, und in den Herzen war es genauso eng. Ich musste draußen im Gang schlafen, in einem Winkel bei der Hoftür, mit ein paar alten Lumpen als Decken. Anfangs hatte ich vor dem Hofhund genauso viel Schiss wie vor den Gespenstern. Das war vielleicht ein Riesenvieh und schwarz wie die Hölle. Aber nach ein paar Nächten haben wir uns miteinander angefreundet, und das hat mir natürlich mein armseliges Leben gerettet. Wenn der Hund nicht gewesen wäre, dann wäre ich an Nässe und Kälte und panischer Angst eingegangen. Der Hund war mein bester Kumpel, mein Freund und mein Schutzgeist. Daher wusste ich auch schon, was passieren würde, als die Ásta starb und der arme kleine Sakarías Bekanntschaft mit der Härte des Daseins machen musste. Den Hund riefen sie einfach nur Svartur, aber ich nannte ihn meinen treuen Tryggur, und der Name passte besser zu ihm. Aber ihr kennt das ja: Einer muss im Sommer frühmorgens um vier oder fünf raus und die Schafe holen, und dieser eine war immer ich. Nasse Füße in der Morgenkühle, kein Essen, bevor man mit der Arbeit fertig ist, und dann auch nur wenig. Du wirst den Leuten hier nicht das letzte Hemd vom Leib fressen, hat meine liebe María immer gesagt und entsprechend knapp aufgefüllt. Ich habe meine ganze Kindheit über gehungert, und seitdem bin ich hungrig, kann nicht genug bekommen. Na ja, es waren trotzdem noch die schönsten Stunden: Tryggur und ich vom frühen Morgengrauen bis in den Vormittag ganz allein unterwegs, manchmal sogar bei schönem Wetter. Da waren wir glücklich unter Gras und Bächen und Vogelgezwitscher. Manchmal habe ich darüber die Zeit vergessen, und dann gab es natürlich Dresche für meine Bummelei. Nicht aus reiner Bosheit, sondern aus Dummheit, denen fiel einfach nichts anderes ein. Das Allerschlimmste war allerdings das Wasserholen im Winter, für das Haus ebenso wie für das Vieh, das hieß jeden Morgen, den Gott werden ließ, achtmal den Weg zum Wasser und zurück. In meiner Erinnerung weht immer ein kalter Nordwind. Zwei hölzerne Eimer, durch einen Überzug aus Eis noch schwerer. Bei jedem Schritt ist das Wasser übergeschwappt. Einmal bin ich davon höllisch krank geworden, ich war neun oder zehn Jahre alt und so gut wie tot. Der Junge wird sterben, hörte ich durch meine Fieberschauer und war ganz einverstanden damit. Ich habe mit meiner direkten Aufnahme in den Himmel gerechnet, denn ich war noch unschuldig und hatte nichts Böses getan. Das Einzige, was mich daran störte, war, dass ich Tryggur nicht mitnehmen konnte. Wir zwei wären ein gutes Gespann gewesen, um im Himmel die Schafe zusammenzutreiben. In einem klaren Moment entdeckte ich dann einen hochkant in Reichweite bereitstehenden Sarg. Das Unschuldslamm von Jósef hatte im nächsten Ort etwas zu besorgen gehabt und bei der Gelegenheit gleich schon mal den Sarg für mich mitgebracht. Da kam leider die Gehässigkeit in mir zum Ausbruch, und ich weiß noch, dass ich, bevor ich wieder bewusstlos wurde, dachte: Auf der verfluchten Kiste sollt ihr sitzen bleiben! Da habe ich also meine Unschuld verloren, aber diese Gehässigkeit hat mir das Leben gerettet, binnen weniger Tage war ich wieder gesund. Da hockten sie dann auf ihrem feinen Sarg, und ich musste wochenlang darin schlafen, damit er doch noch einen Nutzen hatte, bis sich das herumsprach und die Nachbarn, die nicht ganz solche Bestien waren wie meine bibeltreuen Zieheltern, drohten, sie wegen Misshandlung anzuzeigen. So war das. Ich kenne also solche Ruhebetten, sagt er und klopft auf den Sarg hinter sich. Ich kenne sie aus- und inwendig. Wenn ich nicht schnell genug wach wurde und ganz flink aufgestanden bin, schlug Jósef den Deckel zu und setzte sich drauf. Da habe ich die Augen zugemacht und gewusst, wie es ist, tot zu sein.
XIII
Irgendwo in dem Sturm draußen beginnt der Morgen zu grauen. Irgendwo wachen Menschen davon auf, dass sich der Morgen am Osthimmel ausbreitet, irgendwo ist vielleicht sogar Ruhe am Himmel und ruhiges Wetter auf Erden, irgendwo gibt es Orte, an denen man ohne Anstrengung atmen kann und wo die Männer gähnend vors Haus treten und pinkeln können, ohne ihr Leben zu riskieren oder umgeweht zu werden. Es gibt viel Schönes und Staunenswertes auf der Welt. Aber die drei Männer sehen keinen Himmel, sie sehen kaum die Erde, und es ist eine Qual, eine volle Blase zu haben, denn man kann sich kaum überwinden, ein derart empfindliches Glied bei dieser
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