Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)
gottverlassenen Erde nicht leben kann, ohne eine Frau zu haben, und zwar eine wie Ásta, sonst vereinsamt man nämlich, und ein einsamer Mann vertrocknet.
Vertrocknet, äfft der Junge nach.
Genau, bestätigt Hjalti, man vertrocknet und verfliegt dann wie Rauch. Was für ein Leben wäre das eigentlich?
Ein armseliges, nehme ich an, meint Jens.
Der Junge sieht die beiden Männer an, diese beiden Halbtrolle, die ihn gerettet haben, die ihn gerade noch rechtzeitig aus der daunenweichen Umarmung des Todes gerissen haben, ehe sie hart und kalt wurde. Sie sind völlig unkenntlich, weiß vor Reif und Eis, das einzig Menschliche an ihnen sind die Augen, die nie einfrieren, solange man lebendig ist. Sie kauern sich alle drei hin, versuchen sich so klein wie möglich zu machen, um den geringen Windschutz so gut wie möglich zu nutzen; sie rücken ganz dicht aneinander, bilden fast einen Halbkreis und gucken zwischen den Beinen in den Schnee. Tut gut, sich zusammenzukauern und einen anderen Menschen zu spüren, Leben zu fühlen im Schutz der Toten.
Jens, sagt der Junge. Er nennt nur den Namen, und der Angesprochene antwortet zurückhaltend: Ja. Aber er antwortet, so nah sind sie sich auf dieser Reise gekommen.
Du bist nicht allein.
Nein.
Ich meine, du hast eine Frau.
Wie heißt sie?, fragt Hjalti, als Jens schweigt. Ihre Oberkörper schwanken im Anprall der Böen, sie dösen fast ein, und Hjalti und der Junge haben die Frage beinah vergessen, als Jens sagt: Salvör. Er sagt es in den Schnee, er schaut vor sich zu Boden, wie sie alle, und er schaut nicht auf.
Salvör, wiederholt Hjalti, als er wieder richtig zu sich kommt. Das ist … Ihr wohnt doch nicht etwa zusammen?
Nein, das kann man nicht behaupten.
Also wohnst du allein?
Ja, nein, mit meiner Schwester und meinem Vater.
Halla, ergänzt der Junge, erst vorsichtig, unsicher, aber Jens nickt dann einverstanden.
Und warum lebst du nicht mit der Frau zusammen?, fragt Hjalti.
Sie liest in mir wie in einem offenen Buch.
Oh, das kann anstrengend sein.
Sie war verheiratet, sagt Jens.
War hört sich gut an in dem Zusammenhang.
Sie hat ihren Mann umgebracht.
Scheiße.
Hat ihn im Haus verbrannt.
Das ist natürlich …, wägt Hjalti ab, weniger gut.
Ja.
Aber er hat das bestimmt verdient. War bestimmt ein Halunke?
Bei sich zu Hause war er ein Scheusal, hat sie geprügelt und gedemütigt, sogar die Kinder hatten Angst vor ihm, besonders wenn er besoffen war.
Der Alkohol ist eine Erfindung des Teufels.
Und er war oft betrunken, fährt Jens fort. Wenn er zu Hause war. Die letzten Jahre war er kaum noch nüchtern.
Und wo war er sonst?, fragt Hjalti. Auf See?
Jens: Nein, das war komisch, er ist herumgezogen und hat die Leute mit Geschichten und dergleichem unterhalten. Er war beliebt, hat die Leute mitgerissen, nach allem, was ich weiß, aber zu Hause war er ein ganz anderer Mensch. In einer Nacht, nachdem er sie zusammengeschlagen und auf denkbar widerlichste Weise erniedrigt hatte, hat Salvör ihn verbrannt. Mit den Kindern ist sie anschließend zum nächsten Hof geflohen und seitdem lebt sie dort. Fünfzehn Jahre ist das her, im Winter war’s, sehr kalt, ein Marsch von drei Stunden zu den nächsten Nachbarn, das hat das jüngste Kind nicht überstanden. Sie hat es sich bis heute nicht verziehen. Aber sie hat es getan, um ihr Leben und das der Kinder zu retten, sagt Hjalti. So was ist heilig. Er war vom Teufel besessen, ganz einfach.
Jens: Aber es ist ihr misslungen, der Kleine hat den Weg und die Kälte nicht überlebt. Und das ältere, das Mädchen, ist ihr weggenommen und anderswohin in Pflege gegeben worden. Nicht allzu weit weg, aber eben zu weit. Der Bauer, der Salvör aufgenommen hat, hat verhindert, dass sie vor Gericht kam, aber die Leute nennen sie noch heute eine Mörderin. Ihre Tochter hat sie seit drei Jahren nicht mehr gesehen, sie ist ein zweites Mal weggegeben worden, in eine andere Gemeinde, in einen anderen Distrikt sogar.
Weißt du nicht, wohin?
Keine Ahnung. Ich weiß nicht einmal, wie sie heißt.
Wie kommt das denn?, wundert sich Hjalti.
Jens: Sie will es mir nicht sagen.
Hjalti: Ja, zum Donnerwetter, Mann! Wollt ihr denn nicht zusammenziehen?
Jens: Sie sagt, sie will ihre Gastleute nicht enttäuschen, indem sie weggeht, nach allem, was die für sie getan haben.
Hjalti: Dankbarkeit ist eine Sache, sich aufzuopfern eine andere.
Jens: Ich finde auch, sie übertreibt, aber andererseits kann ich sie gut verstehen. Mir kann man auch
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