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Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)

Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)

Titel: Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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mehr nach mir fragen und zwar, weil sie mich vergessen hätte, auch Papa, alles, und von da an würde sie glauben, ihr Leben müsse so sein, draußen auf dem Hof angekettet oder in den Verschlag gesperrt, schmutzig, verlottert und geprügelt. Du kannst tun und lassen, was du für richtig hältst. Aber ich gehe gegen den Wind nach Norden. Wenn du am Leben bleiben willst, gehst du mit mir, und das würde ich dir empfehlen. Das Einzige nämlich, was ich einigermaßen kann, ist, fernab von allen Menschen dem Sturm ein Schnippchen zu schlagen. Wofür entscheidest du dich?

XI
     
    Das Leben ist so vielfältig, dass es viel gescheiter ist, ein bisschen was Lustiges vor sich hin zu pfeifen, als zu versuchen, es mit Worten zu beschreiben.
    Erst bricht es also auf einmal aus Jens heraus, er gibt die kostbarsten Geheimnisse preis, erzählt von seinen Ängsten und von dem, was ihn weitertreibt, und dem Jungen vergeht dabei alle Wut. Als Nächstes erklärt Jens dann, sie könnten vielleicht eine Bucht mit einer kleinen Kate erreichen. Eine feste Unterkunft, hat der Junge zweifelnd gefragt, und dann waren sie aus ihrem Windschutz getreten, zurück in den Sturm, in diesen bösartigen Wind und das prasselnde Schneegestöber, und der Junge war erst einmal zwei, drei Meter taumelnd fortgeweht worden und hätte Jens um ein Haar gleich wieder verloren, ehe er das Gleichgewicht wiederfand.
    Sie gehen nach Norden. Sie kämpfen sich Schritt für Schritt voran, sehen absolut nichts, schon gar nicht diese Frau, die vielleicht gar keine Frau war, sondern ein durch Müdigkeit, Hunger und Durst heraufbeschworenes Phantom. Jens hat ganz recht, der menschliche Verstand steckt voller Geheimnisse, ist mysteriöser als der Ozean, es lässt sich unmöglich genau sagen, was er alles hervorbringen kann. Selbstverständlich hat der Junge keine Tote gesehen! Tote wandern nicht im Gebirge herum, weder bei sommerlichem Sonnenschein noch bei gnadenlosem Winterwetter, das eigentlich frühlingshaft sein sollte, obwohl es hier in Island streng genommen niemals Frühling gibt, diese Wonne kennen wir nicht, bei uns herrscht Winter, dann kommt ein zögerlicher Sommer, einen sanften Übergang dazwischen gibt es nicht. Tote wandeln nirgends umher, sondern liegen still in ihren Gräbern, das Fleisch verrottet, die Knochen werden zu Staub und Erde, und mit der Zeit wird der vormalige Mensch zu Dünger für eine Vegetation, die Sonnenschein und Regen in sich aufsaugt und das Dasein belebt. So hat alles seinen Sinn und Zweck, oder wir versuchen uns wenigstens einzureden, dass es so ist. Der Untergrund bekommt Gefälle, es geht abwärts. Das Dröhnen des Eismeers wird zu einem nahen Brüllen.
    Teufel!, ruft der Junge, aber Jens geht weiter auf den anschwellenden Lärm zu. So muss es sein, die Seelen der Verdammten zu hören, denkt der Junge, und wer weiß schon, ob nicht die meisten Gestorbenen im Meer verschwinden und tausend Jahre lang auf Gedeih und Verderb heulen. Sie spüren die feuchte Kälte des Meeres, und Jens überläuft ein Schauer, als rieselten ihm Kälte und Furcht einmal schnell durch die Knochen. Er hält an, so abrupt, dass der Junge auf ihn aufläuft. Für kurze Zeit verharren sie auf dem leicht abschüssigen Weg, von Angst vor dem Dröhnen und von Unsicherheit gepackt, wie und wo es weitergehen soll, dann aber setzt sich Jens wieder in Bewegung, und wenig später entdecken sie ein Haus.
    Ein Hof!, ruft der Junge und rüttelt den vereisten Briefträger. Ein gottverdammter Hof, kreischt er, bricht in lautes Lachen aus und breitet die Arme aus. Ein tief eingeschneites Haus natürlich, aber doch nicht so verschüttet wie der Hof, in dem der wortscheue Bauer wohnte, dessen Frau die Bücher liebt und dessen kleine Tochter so schlimm hustet, dass der Lebensfaden jederzeit reißen kann. Wie mochte es ihr jetzt gehen? Ob sie das Blatt Papier inzwischen mit Bildern, Versen und Wörtern bedeckt hatten und es mehrmals am Tag zur Hand nahmen, um es zu betrachten? Ob eins von den Kindern das Blatt womöglich jahrelang aufheben und nach langer Zeit, nach Jahrzehnten, mit altersschwachen Augen noch einmal ansehen wird, wenn die anderen alle gestorben sein werden, und dann ein wenig darüber lächelt und sich erinnert?
    Das Haus, das halb blind und sturmgebeutelt aus dem Schnee ragt, verschwindet nur selten vollständig unter Schnee. So heftig bläst der Wind hier draußen, dass selbst der dichteste Schneefall es nicht ganz unter sich zu begraben vermag.
    Aber wo ist

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