Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)
die verdammte Tür, schreit der Junge, nachdem sie vergeblich nach etwas gesucht haben, das einem Eingang ähnlich sieht.
Weiß nicht, ruft Jens zurück, und da hören sie aufgeregtes Hundegebell und dann eine schwache menschliche Stimme, die ruft: Hallo, wer ist denn da?
Jens blökt irgendwas zurück, während sie auf die Stimme und das Bellen zugehen. Die Stimme von drinnen ruft noch einmal, etwas lauter oder näher und nicht mehr so dünn: Seid ihr tot oder lebendig? Aus, Nellemann!
Das Gebell verstummt, und Jens, der in einer Wehe feststeckt – nahe am Haus ist der Schnee furchtbar pappig und kaum zu überwinden –, ruft zurück: Hol’s der Teufel, tot, wenn wir die verfluchte Tür nicht finden!
Ein Mann erwartet sie am Eingang, mit zottelig ungepflegtem Haar, das sich beträchtlich lichtet. Er schaut in den Gang zurück, als sie ankommen und fast ins Haus fallen.
Aus!, sagt er harsch, und der Hund, ein großes Tier mit dunklem Fell, der wieder zu kläffen begonnen hat, hört sofort damit auf, knurrt aber noch leise.
Wen habe ich vor mir?, erkundigt sich der Mann und mustert die beiden Ankömmlinge, die in dem engen, düsteren Gang aufrecht zu stehen versuchen, dabei aber ziemlich schwanken, nachdem sie so plötzlich aus dem Winddruck heraus sind. Sie sind so vollständig in Eis und Schnee gehüllt, dass sie kaum wie Menschen aussehen. Jens schüttelt sich und holt, während er zu Atem kommt, ein paar Worte aus sich hervor: Jens … Post … Ich bin … der Briefträger.
Der Junge lehnt an der Erdmauer und ist so erledigt, dass er Sternchen sieht.
Mit meinem Tod habe ich gerechnet, aber nicht mit dem Briefträger, sagt der Mann und stellt sich vor: Bjarni, Bauer hier auf Nes. Dann fasst er behutsam, aber fest um die Schnauze des Hundes, der zu knurren aufhört, und geht in den langen Gang hinein.
Bjarni führt sie in die Baðstofa , und dort erwartet sie der Rest der Familie, viele neugierige Augen. In der Mitte des Raums steht ein kleiner Kaminofen.
Ihr müsst die Sachen ausziehen, sagt Bjarni, und der Junge beginnt kraftlos, sich seiner Kleider zu entledigen. Jens zögert, vielleicht wartet er auf Hilfe, Frauenhände, die ihm die gefrorenen Kleidungsstücke ausziehen, denn so ist es doch immer gewesen, die Männer kommen erschöpft nach Hause, kalt und nass von Schnee oder nassen Heuwiesen, werfen sich aufs Bett, und die Frauen ziehen ihnen die Kleider aus und kümmern sich um alles, während sich die Männer erholen. Sie trocknen die Kleidung, während die Männer schlafen, sie selbst gehen erst spät zu Bett, stehen aber vor allen anderen wieder auf, sie kümmern sich um den Haushalt, während die Männer noch schlafen, lesen oder schreiben lernen, sich weiterbilden und sich so einen Vorsprung verschaffen. Macht schreit immer nach Ungerechtigkeit, und auch wenn das Leben vielleicht gut ist, so ist der Mensch doch unvollkommen.
Du wirst krank, wenn du dich nicht ausziehst, sagt Bjarni, seine Stimme ist tief, gar nicht dünn, wie sie draußen im Sturm geklungen hat, der über dem Haus brüllt.
Sie schlottern in der Unterwäsche am Ofen und schauen sich zum ersten Mal gründlicher um. Der Hund beobachtet sie aus dem Schatten einer Ecke, er ist nicht mehr aufgebracht und wedelt sogar leicht mit dem Schwanz, als der Junge ihn ansieht. Vier Kinder starren die Besucher an, zwei Jungen und zwei Mädchen, das jüngste kaum älter als zwei Jahre, das älteste ein elf- oder zwölfjähriges Mädchen, das kurze Zeit später in die Küche geht. Ein großer Mann hält das kleinste Kind auf dem Schoß, er ist ziemlich bullig gebaut, hat füllige Lippen, ein breites Gesicht und kleine Augen. Er setzt das Kind ab, steht auf, richtet sich zu voller Länge auf, wobei er fast an die Decke stößt, tritt zwei Schritte auf die Gäste zu und streckt seine Pranke vor.
Hjalti. Ich bin der Knecht hier.
Jens und er schütteln sich die Hand, beide so groß und kräftig, dass der Raum eigentlich zu klein für sie ist. Der Ofen heizt nicht besonders gut, aber doch immerhin etwas, und manchmal ist etwas schon geradezu großartig und macht den Unterschied zwischen erträglich und unerträglich aus. Die Besucher reiben die Hände aneinander, halten sich möglichst in der lauen Wärme und versuchen, die schlimmsten Kälteschauer zu überstehen, ehe sie Wäsche zum Wechseln aus den Beuteln kramen, sie ist kalt und klamm, aber besser als nichts. Das Kleinste krabbelt über den gestampften Fußboden und hält sich dabei von den
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