Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)
Freude, und da ist unterdrücktes Schluchzen zu hören, so leise allerdings, dass man auch darüber hinweghören kann. Das ältere Mädchen steht verstohlen auf, geht zu seinem Bruder und legt ihm die Hand auf den zitternden Leib. Es sagt nichts, es macht den Eindruck, als habe es den Arm ganz unabsichtlich da hingelegt, irgendwo müssen wir unsere müden Glieder schließlich ausruhen, dazu blickt es noch in eine andere Richtung, zu dem Kleinsten hinüber, der warm im Fell des Hundes schläft, der Arm aber liegt auf dem zitternden Körper und sagt, du bist nicht allein, Bruder, ich bin bei dir und verlasse dich nicht. Anderswo auf der Welt würde er noch sagen, ich liebe dich, aber am Ende der Welt redet man nicht so, da sprechen nicht einmal Hände derart kostbare Worte aus. Ein paar Tranlampen brennen und verbreiten spärlich Licht, werfen aber auch Schatten und Halbschatten hier- und dorthin, als würde die Welt an manchen Stellen von Dunkelheit zerrissen. Unter Bjarnis Augen liegen tiefe Ringe, und auch das Mädchen, das mit verschwiegener Hand warmen Trost spendet, ist so mager, dass seine Augen größer wirken als das Gesicht. Die anderen im Raum blicken vor sich auf den Boden, wie man es tut, wenn man ein Gespräch vermeiden will, weil etwas Beängstigendes oder Schmerzliches in der Luft liegt und der Erste, der das Wort ergreift, darauf zu sprechen kommen muss.
Bjarni ballt die Hände zu Fäusten, öffnet den Mund, um etwas zu sagen, muss sich aber erst noch einmal räuspern und tut das so laut, dass alle bis auf die Alte zusammenzucken. Der Hund blickt kurz auf und spitzt die Ohren, der Kleine seufzt und wimmert, die Hundezunge leckt ihm übers Haar, bis er wieder einschläft.
Eine Frau, sagt ihr, bei diesem Wetter, da oben, das kann ich kaum glauben. Was sollte ein Mensch da zu suchen haben? Der Sturm hält hier seit zehn Tagen an, es ist niemand draußen unterwegs gewesen. Wer sich zu weit vom Hof entfernt, ist so gut wie tot … Groß gewachsen, sagst du? Die letzte Frage spuckt Bjarni fast aus, als falle sie ihm schwer oder er fürchte die Antwort, und alle, bis auf den Jüngsten und die Älteste, schauen die Besucher an. Der Junge sieht den Hund an und das Kind, sie geben einander Wärme und Gesellschaft und haben ihre glücklichen Momente ganz unabhängig von der Welt.
Bjarni, leise: Ich meine, groß für eine Frau?
Der Junge erschauert leicht: Ja, sie war ziemlich groß.
Bjarni: Dunkles und üppiges Haar?
Der Junge: Ja.
Bjarni: Habt ihr ihr Gesicht gesehen? Wohl kaum …
Jens: Man weiß das nie so genau bei solchen Sichtverhältnissen in den Bergen. Leute sehen da öfter Dinge, die nicht da sind, die sie sich einbilden, Trugbilder.
Der Junge hitzig: Ich habe sie genau gesehen. Auch ihr Gesicht. Als sie mich gerettet hat.
Bjarni: Dich gerettet hat?
Hjalti: Wie denn?
Der Junge: Ich hatte Jens verloren, war völlig erledigt vor Müdigkeit, da stand sie plötzlich vor mir.
Bjarni: Hast du ihre Augen gesehen? Und ihre Nase? War sie etwas gebogen, mit einem kleinen Haken?
Der Junge: Ich habe sie klar und deutlich gesehen, aber nicht so sehr auf ihr Aussehen geachtet. Das Ganze war so, ja, unwirklich. Aber es stimmt, ihre Nase war ein wenig gebogen.
Bjarni fast unbedacht: Und die Augen?
Hjalti hastig: Als würden sie in dich hineinsehen?
Einen Moment sieht der Junge die Augen der Frau vor sich, eiskalt vom Tod. Ja, sagt er, als würden sie durch mich hindurchgehen.
Hjalti: Teufel!
Bjarni bleich: Das ist absolut nicht das angebrachte Wort.
Papa, sagt das jüngere Mädchen und guckt seinen Vater eindringlich an. Papa, wiederholt es fragend, bittend. Dann nichts weiter. Bjarni steht auf, nimmt wieder Platz, versucht ihr zuzulächeln und blickt dann auf die beiden Kinder, Sohn und Tochter, die umschlungen im Bett liegen.
Ihr macht das Bettzeug nass, meine Kleinen, sagt er schließlich, die Stimme fast wieder so kläglich wie vorhin, als sie durch den Sturm zu hören war. Er bittet das Mädchen, den kleinen Sakarías zu Steinólfur ins Bett zu bringen. Und du legst dich dann zu Beta. Am besten schlaft ihr jetzt. Wir können nichts tun, setzt er noch hinzu, wie zur Erklärung oder zum Trost, einem vergeblichen Trostversuch, und das Mädchen steht auf, und zwölfjährige Hände streichen über alte Augen. Þóra heißt sie. Sie holt den kleinen Sakarías vom Hund weg, der leise und traurig jault, als ihm der Junge weggenommen wird.
Das ist Nellemann, sagt Bjarni und zeigt auf den Hund.
Wie
Weitere Kostenlose Bücher