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Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)

Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)

Titel: Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Conrath
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der Versuchung widerstanden hatte, das Opfer ein weiteres Mal zu missbrauchen, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es Zeit war, in die Pause zu gehen.
    Den Rest des Tages verbrachte sie damit, Fragebögen auszuwerten, das hieß: einhundertsiebenundsechzig Fragen   – fast so viel wie bei einem Standardformular für die Serientäter-Datenbank V i CLAS   – in den Rechner übertragen, für jeden einzelnen Bogen. Obwohl es technisch längst möglich war, solche Formulare automatisch einzuscannen, musste sie ungezählte Stunden vor dem Bildschirm verbringen. Das alte Problem. Kein Geld. Die Technik war teuer, die Geräte, die verfügbar waren, auf Monate ausgelastet, sie war vergleichsweise billig. Der einzige Trost war, dass erstaunlich viele Satanisten den Bogen zurückgeschickt und die Beantwortung sehr ernst genommen hatten. Aus ganz Deutschland lagen ihr insgesamt sechshundertdreiundsiebzig ausgefüllte Bögen vor. Damit hatte sie nicht im Traum gerechnet. Und das Beste: Fast zwei Drittel waren nicht anonym, also konnte sie davon ausgehen, dass die Angaben korrekt waren. Mit dieser hohen Anzahl war sie fast schon im Bereich einer repräsentativen Befragung, auch wenn Fellmis nur darüber lachte. Aber Fran war keine Studie bekannt, die auch nur annähernd eine so große Datenbasis vorweisen konnte wie die ihre. Oft stützten sich soziologische und religiöse Studien auf ein paar Dutzend Auskunftswilliger. Sie hatte die Konsequenzen daraus gezogen und war Monate kreuz und quer durch Deutschland gereist, hatte ihren Urlaub geopfert und eigenes Geld, denn der Etat für Dienstreisen war schneller erschöpft gewesen, als ein Eimer Wasser durch ein Sieb lief. Ihr fiel ein, dass sie nicht in Hamburg gewesen war. Landauf und landab hatte sie mit den unterschiedlichsten Gruppierungen gesprochen, hatte es geschafft, bei den allermeisten das Misstrauen zu zerstreuen, das viele den Behörden gegenüber zu Recht hegten: Die großen Kirchen bekämpften natürlich jede Form des Satanismus, die Polizei vor Ort war oft hilflos und kriminalisierte harmlose Jugendliche. Aber nicht alle waren harmlos und hatten eine weiße Weste. Vor einiger Zeit war eine neue Gruppierung aufgetaucht, die die Grenzen des Üblichen klar überschritt. Bisher hatte sie nur Phantome ausmachen können, und bis jetzt war außer schwerer Tierquälerei noch keine Straftat ans Licht gekommen. Aber in der Szene gab es Unruhe. Auf die Spur gekommen waren sie diesem satanischen Zirkel durch einen Zufall.
    Ein fünfzehnjähriger Schüler aus München hatte mit seinem Handy Teile einer schwarzen Messe gefilmt. Personen waren nicht zu identifizieren, aber es war zu sehen, wie ein Huhn, eine Katze und ein Hund rituell von einer Person in Satanskostüm auf einem Stein, der eindeutig den Altar darstellte, geschlachtet wurden. Dem Huhn wurde der Kopf zertrümmert, der Katze die Kehle durchgeschnitten, und dem armen Hund wurden bei lebendigem Leibe die Därme herausgerissen, nachdem man ihm die Schnauze zugebunden hatte. Da hatte es der Amateurfilmer mit der Angst zu tun bekommen und war abgehauen. Ein paar Wochen später hatte er dann auf dem Schulhof mit dem Video angegeben, ein Lehrer hatte ihn erwischt und sofort die Polizei eingeschaltet. Der Tatort war natürlich längst von jeglichen verwertbaren Spuren befreit, die Presse hatte eine Schlagzeilenorgie veranstaltet, und seitdem hatte man nichts außer ein paar Gerüchten über die Gruppe gehört.
    Die Sekte war vorsichtig, wollte keine Öffentlichkeit, wollte unter sich bleiben. Das waren keine spätpubertierenden Hobby-Satanisten, die ihren Gesellschaftsprotest auslebten, das waren Überzeugungstäter. Wie schmal war der Grat, auf dem sie sich bewegten? Was war nötig für die Eskalation, was musste in der Gruppe vorgehen, damit sie anstatt eines Tieres einen Menschen auf dem Altar schlachteten?
    Ja, Fran wünschte sich mehr Geld und mehr Ansehen   – aber nicht zu dem Preis eines ermordeten Menschen.
    Sie erfasste noch zwei Bögen, dann sicherte sie die Daten, fuhr ihren Rechner herunter und verließ ihr Büro. Wie so oft war sie die Letzte.
    Sie sprang auf ihr Fahrrad, fuhr hinüber zum Kirchplatz, ein Umweg, aber dort konnte sie die 712 abpassen, um sich mit ihr zu messen. Die Straßenbahn brauchte neun Minuten bis zur Hellriegelstraße, das machte eine Durchschnittsgeschwindigkeit von dreiundzwanzig Kilometern pro Stunde. Kein Problem für Fran, aber sie hatte

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