Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)
kann verstehen, dass das traurig für Sie ist, aber handgreiflich werden geht gar nicht.«
Rüttgen zuckte nicht mit der Wimper.
Fran hob die Stimme. »Ah! Ich verstehe, Herr Rüttgen. Sie glauben gar nicht, dass Ihre Mutter tot ist. Sie haben Sie noch gar nicht tot gesehen. Möchten Sie sie sehen?«
Rüttgen lächelte.
»Ist es Ihnen egal, ob Ihre Mutter tot ist oder nicht? So egal wie bei Marvin? Der war für sie ja nur eine Wanze.« Fran blätterte durch den schmalen Aktenordner, den sie mitgenommen hatte. Außer ein paar leeren Blättern befand sich nichts darin. »Sie ist zumindest friedlich gestorben. Sie müssen zu der Zeit in der Wohnung gewesen sein. Sie starb ohne Sie. Völlig allein.« Fran ließ ihre Worte wirken.
Aber Rüttgen reagierte nicht.
»Nun, Herr Rüttgen, wenn Sie glauben, dass Ihre Mutter noch lebt, dann gehe ich davon aus, dass Ihre Mutter Sie braucht. Wenn Sie aber nicht mit uns reden, dann werden wir Sie Monate hierbehalten. Sie stehen unter dringendem Mordverdacht, die Indizien sind erdrückend. Die Sache auf dem Friedhof ist Kleinkram. Aber wenn es um Mord geht, sind wir nicht zu Scherzen aufgelegt. Es liegt an Ihnen, die Aussage zu verweigern, aber, wie gesagt, der Haftrichter wird mit Sicherheit U-Haft gegen Sie anordnen. Also überlegen Sie sich sehr gut, wie Sie sich verhalten.«
Die Tür öffnete sich. Ein junger Mann in dunklem Anzug trat ein und stellte sich vor. »Jonathan Jung, Strafverteidiger. Sie sind …«
Fran zuckte zusammen, stand auf, schüttelte seine Hand. Deswegen hatte Rüttgen nicht auf ihre Frage nach einem Anwalt reagiert. »Franziska Miller, LKA , stellvertretende Leiterin der zuständigen Mordkommission.«
»Sehr erfreut, Frau Miller. Darf ich fragen, was Sie hier machen?«
»Routinemäßige Einvernahme des Beschuldigten zur Informationserlangung. Strafprozessordnung …«
Jung hob die Hände und nickte. »Ich kenne den Paragrafen, und ich habe mir die Akten angesehen. Morgen ist Haftprüfungstermin, richtig?«
Das stimmte, Kittner hatte darauf bestanden, er wollte nichts anbrennen lassen, und er wollte bald eine Anklage.
»Richtig«, antwortete Fran. »Möchten Sie bei der Einvernahme dabeibleiben?«
»Unbedingt.« Jung zog sich einen Stuhl heran und platzierte ihn neben Rüttgen. Er zeigte auf Fran. »Bitte. Fahren Sie fort.«
»Sie glauben, dass Sie Luzifer heraufbeschwören können?«
Zu Frans Überraschung antwortete Rüttgen ohne Zögern.
»Ja, daran glaube ich, und ich bedaure, dass ich das Grab dieses ehrenwerten Mannes besudelt habe. Aber es war unumgänglich.«
»Warum haben Sie Marvin Mutoah in den Tod getrieben?«
Jung wedelte mit einer Hand. »Frau Miller, ich bitte Sie …«
»Haben Sie Johanna Magold getötet?«
Frans Handy spielte Like a Satellite . Senior.
»Fran, wo bist du?«
»Bei Rüttgen«, flüsterte sie.
»Ist Jung schon da?«
»Ja.«
»Brich sofort ab. Sonst kriegen wir Ärger.«
Fran unterbrach die Verbindung. »Ich bin fertig.«
Jung grinste breit. »Wir sehen uns morgen. Ich nehme an, Sie sind beim Haftprüfungstermin zugegen?«
Fran bestätigte.
»Dann ziehen Sie sich warm an.« Jungs Miene wurde ernst. »Wir sind hier nicht im Wilden Westen.«
*
Fran glaubte nicht an Gott. Sie glaubte auch nicht, dass es in der Natur Zeichen gab, an denen man die Zukunft oder sein Schicksal ablesen konnte. Doch an diesem Morgen lief es ihr eiskalt über den Rücken, als sich kurz nach Sonnenaufgang die Sonne verschleierte und Nebel aufzog, der sich wie Spinnweben über den Nordfriedhof legte. Ungewöhnlich für diese Jahreszeit, ungewöhnlich für die Lage in der Stadt, wo es selbst im Herbst selten Nebel gab. Mit einem Ruck zog sie den Reißverschluss ihrer Jacke zu und schlug den Kragen hoch.
Senior trat neben ihr von einem Bein auf das andere.
»Die lassen sich echt Zeit«, sagte Herz, der nur einen leichten Blazer trug, dessen obere Knöpfe offen standen. Er schien nicht zu frieren.
»Hoffentlich haben sie es sich nicht anders überlegt«, brummte Senior.
Die Exhumierung von Friedrich von Solderwein musste in Gegenwart von zwei Gemeindemitgliedern durchgeführt werden, und obwohl es seitens der Verwaltung keinerlei Bedenken gegeben hatte, waren letzte Zweifel geblieben. Wie weit reichte der Arm der Banken? Wenn Friedrich von Solderwein ermordet worden war, konnte durchaus eine Verschwörung gegenseine Person dahinterstecken, angezettelt von ehemaligen Kollegen. Solderwein hatte eine Finanzierungsblase
Weitere Kostenlose Bücher