Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)
seinen Lippen, er öffnete den Mund und nahm einen Schluck.
Es hatte eine Weile gedauert und eine Menge Hühner das Leben gekostet, bis er seinen Brechreiz unter Kontrolle gebracht hatte. Die Lösung war gewesen, sich einfach etwas anderes vorzustellen. Warmen salzigen Kakao zum Beispiel. Oder dicke Kartoffelsuppe, die etwas metallisch schmeckte. Kim und Jana hatte er ganz behutsam in das Blutritual eingeführt, und manchmal beschlich ihn das Gefühl, dass seine Schülerinnen die anfängliche Scheu vor dem Blut nur gespielt hatten und dass er die beiden nicht so gut kannte, wie er es sich wünschte.
Er reichte den Kelch weiter, seine weiblichen Adepten tranken, er murmelte weiter die magischen Sprüche.
Marvin war noch nicht bereit für das Blutritual. Sein erster Versuch hatte fast im Krankenhaus geendet, er hatte sich die Seele aus dem Leib gekotzt. Trotzdem hatte er darauf bestanden weiterzumachen. Mutig. Ob er bis zur vierten Stufe aufsteigen konnte, ob er überhaupt die zweite erreichen konnte, das stand für Lars in den Sternen. Immer wieder versuchte Lars ihm klarzumachen, dass er große Dinge vollbringen musste, um Luzifer zu gefallen. Und dazu gehörte auch und vor allem die Überwindung des eigenen Schweinehundes. Blut war die edelste Flüssigkeit, der Mensch nur ein intelligentes Tier, und Blut trinken hieß Luzifer ehren.
Das restliche Blut verspritzte Lars auf dem Grabstein, das Huhn drapierte er auf den Frühlingsblumen, die gerade aufblühten. Zum Abschluss murmelte er ein Dankesgebet an den Toten und an Luzifer, den Lichtbringer.
Wenn seine Berechnungen stimmten, müsste Luzifer in drei Jahren, zwei Monaten, sechs Tagen, elf Stunden und sechsunddreißig Minuten auf die Erde zurückkehren, um der Menschheit Frieden, Freiheit und Glück zu bringen.
Bis dahin würde Lars seine Schützlinge zu ungeahnten spirituellen Erfahrungen führen. Jetzt war es an der Zeit, in die Welt der Verblendeten zurückzukehren und gut getarnt weiterhin alles für die Rückkehr des Meisters aller Meister vorzubereiten. Noch achtzehn Schlüssel. Er schlug das dreifache Henkelkreuz über dem Grab und eilte davon, im Schlepptau seine kleine treue Gemeinde, die wie schwarze Phantome in der milchigen Luft über dem Weg zu schweben schienen.
*
Fran öffnete die Augen. Wie lange hatte sie geschlafen? Drei Stunden? Höchstens. Die Schmerzen hatten nicht verschwinden wollen, und erst nachdem sie drei Tabletten genommen hatte, waren sie in die Hölle zurückgekehrt, aus der sie regelmäßig aufstiegen, um sie zu foltern. Mit beiden Händen rieb sie sich die Augen, gähnte und streckte ihre Glieder. IhrWecker spielte We Are the Champions , aber sie fühlte sich nicht wie eine Siegerin. Die Schmerzen, die Albträume, die Ängste.
Sie vertrieb die Nachtschatten, stand auf, duschte kurz, betrachtete das Gitter vor ihrem Badfenster. Da würde so schnell keiner durchkommen. Schwarzer geschmiedeter Stahl. Tief verankert in der Hauswand. So tief verankert wie die Schmerzen, die ständig in ihrer Seele bohrten.
Fran band sich die Haare zu einem Pferdeschwanz, trank ein Glas Multivitaminsaft, trat in den Flur, ignorierte das verkratzte Schloss, sprang das leere Treppenhaus hinunter, in dem ihre Schritte klangen wie Eisbrocken, die auf dem Boden zerplatzen, und schwang sich auf ihr Fahrrad. Am Wendeplatz nahm sie das Rennen mit der 712 auf und gewann haushoch.
Günther begrüßte sie mit einem Kopfnicken, Christine trug heute ein pinkfarbenes Kleid mit grünen Schuhen, Bruno war an der Uni, und Martina hatte frei.
Fran steckte ihre Chipkarte in den Schlitz, fuhr ihren Rechner hoch, beantwortete vierzehn E-Mails, dreizehn davon waren Anfragen von Kollegen aus ganz Deutschland, die sie schnell beantworten konnte. Leider gab es keinen Ansatz, sie als Beraterin anzufordern. Also machte sie sich an die Erfassung der Fragebögen.
Fragebogen siebenundsiebzig. Wolf Rüben. Chiffrenummer: RRTG /34 R . Ort: Bliesmengen-Bolchen. Was zum Teufel war Bliesmengen-Bolchen? Fran googelte und fand mehrere Einträge. Bliesmengen-Bolchen war ein Kuhdorf im Saarland. Wieso gab es in einem solchen gottverlassenen Flecken Satanisten? Sie musste grinsen, denn sie hatte die Frage ja schon beantwortet. Gottverlassen eben. Fran gab die biografischen Daten von Wolf Rüben ein, dann überflog sie die Antworten, um zu sehen, ob sie in sich stimmig waren. Die Ausfallquotefür Fragebogen, die nicht korrekt beantwortet waren, lag bis jetzt glücklicherweise bei
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